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Brooklyn

Brooklyn

Titel: Brooklyn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Colm Tóibín
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Buchführung machen könnte. Dabei fiel ihr ein, dass sie am Morgen vergessen hatte, ihm zu schreiben, und sie nahm sich vor, sich am Abend Zeit zu nehmen und ihm dann zu schreiben.

    Am Sonntag, gleich nach dem Mittagessen, das Wetter war nach wie vor warm, fuhren George und Nancy und Jim vor dem Haus in der Friary Street vor. Jim hielt Eilis die hintere Wagentür auf, und sie stieg ein. Er trug ein weißes Hemd mit aufgerollten Ärmeln; sie bemerkte die schwarzen Haare an seinen Armen und die Blässe seiner Haut. Sein Haar war eingeölt; offensichtlich hatte er sich mit seinem Aufzug richtig Mühe gegeben. Während sie aus der Stadt hinausfuhren, erzählte er ihr leise, wie es am vergangenen Abend im Pub zugegangen war, und sagte, es sei wirklich ein Glück, dass seine Eltern, obwohl sie ihm das Lokal überschrieben hatten, noch immer bereit waren, dort zu arbeiten, wenn er ausgehen wollte.
    George meinte, in Curracloe sei es vielleicht zu voll und sie sollten statt dessen nach Cush Gap fahren und das Steilufer hinuntersteigen.Dort war Eilis oft mit Rose und ihren Brüdern und ihren Eltern hingefahren, als sie noch Kinder waren, aber seit Jahren war sie nicht mehr dagewesen und hatte auch nicht daran gedacht. Als sie durch das Dorf Blackwater fuhren, hätte sie fast auf die Gebäude gezeigt, die sie noch kannte, wie Mrs. Davis’ Pub, wo ihr Vater abends immer hingegangen war, oder Jim O’Neills Laden. Aber sie riss sich zusammen. Sie wollte nicht wie jemand wirken, der nach langer Zeit in der Fremde heimgekehrt war. Und außerdem, dachte sie, war das hier etwas, was sie vielleicht nie wieder an einem solchen Sommersonntag erleben würde; für die anderen war es hingegen nichts Besonderes, lediglich ein Ort, an den George hinwollte, weil es dort nicht so voll war.
    Wenn sie angefangen hätte, von ihren Erinnerungen an diesen Ort zu erzählen, hätten die anderen bestimmt den Unterschied gemerkt. Also betrachtete sie statt dessen aufmerksam jedes Gebäude, an dem sie, den Hügel hinauf, vorbeifuhren, bevor sie nach Ballyconnigar abbogen, und erinnerte sich an Dinge, die sie erlebt hatte, kleine Ausflüge in den Ort mit Jack oder an einen Tag, an dem ihre Cousins, die Doyles, zu Besuch gekommen waren. Sie versank in Schweigen und empfand deutlich die Distanz zwischen sich und der Ungezwungenheit, der Gemütlichkeit und der guten Laune, die im Wagen herrschten, als sie nach links abbogen und den engen sandigen Feldweg in Richtung Cush Gap fuhren.
    Sobald sie geparkt hatten, gingen George und Nancy voraus auf die Abbruchkante zu, während Jim und Eilis hinterherkamen. Jim trug nicht nur seine Badehose und sein Handtuch, sondern auch ihre Tasche mitsamt Badeanzug und Handtuch. Auf halbem Weg blieben sie kurz bei Cullens’ Haus stehen, vor dem Mr. Redmond, Jims alter Lehrer, mit einem Strohhut auf dem Kopf saß. Offensichtlich war er in Ferien hier.
    »Das könnte der einzige schöne Sommertag in diesem Jahr sein, Sir«, sagte Jim.
    »Also am besten nach Kräften ausnutzen«, erwiderte Mr. Redmond. Eilis bemerkte, dass er etwas undeutlich sprach.
    Während sie weitergingen, sagte Jim leise, Mr. Redmond sei der einzige Lehrer, den er je gemocht habe, und es sei schade, dass er den Schlaganfall gehabt habe.
    »Wo ist sein Sohn?« fragte Eilis.
    »Eamon? Er sitzt vermutlich über seinen Büchern. Das tut er meistens.«
    Als sie das Ende des Sandweges erreichten und über den Rand der Abbruchkante spähten, sahen sie, dass die See unter ihnen ruhig, fast glatt war. Entlang des Wassersaums war der Sand dunkelgelb. Ein Schwarm Meeresvögel flog gerade dicht über den Wellen, die kaum anzuschwellen schienen, bevor sie sich leise, fast lautlos brachen. Ein leichter Dunst verwischte die Linie zwischen Meer und Himmel, aber ansonsten war der Himmel von einem reinen Blau.
    George musste das letzte Stück des sandigen Einschnitts im Steilufer hinunterlaufen; er wartete, bis Nancy folgte, und nahm sie in die Arme. Jim tat das gleiche, und Eilis fand, dass er, als er sie auffing, sie etwas zu fest umarmte und es auf eine Weise tat, als sei das ganz normal zwischen ihnen. Bei der Vorstellung, dass Tony sie jetzt sehen könnte, überlief es sie für einen Augenblick kalt.
    Sie breiteten zwei Decken auf dem Sand aus, während Jim sich Schuhe und Socken auszog und hinunter zum Wasser ging; als er zurückkam, erklärte er, es sei fast warm, viel angenehmer als das letztemal, und er werde sich umziehen und eine Runde schwimmen. George

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