Brooklyn
Wochen lang die Hütte gemietet, die Michael Webster und Nora gekauft haben. Ich weiß nicht mehr, wem sie damals gehörte. Da hat man jeden Sommer, wenn man herkam, die Veränderung gesehen«, sagte sie.
»Mein Vater sagt, er erinnert sich, vor Jahren deinen Vater hier gesehen zu haben.«
»Damals kamen sie alle mit dem Rad aus der Stadt her.«
»Gibt es in der Nähe von Brooklyn Strände?«
»Aber ja«, sagte sie, »und im Sommer sind sie an den Wochenenden immer überfüllt.«
»Ich könnte mir vorstellen, dass man da die verschiedensten Sorten Menschen trifft«, sagte er, als ob ihm die Vorstellung gefiele.
»Stimmt«, sagte sie.
Eine Zeitlang sagten sie nichts mehr, während Eilis, die sich aufgesetzt hatte, beobachtete, wie sich Nancy im Wasser treiben ließ und George dicht neben ihr her schwamm. Jim setzte sich ebenfalls auf und betrachtete die beiden.
Leise sagte er: »Wollen wir sehen, wie das Wasser ist?«
Eilis war darauf gefasst gewesen und hatte sich schon vorgenommen, nein zu sagen. Wäre er zu hartnäckig gewesen, hatte sie sich sogar vorgenommen zu sagen, dass sie jemand in Brooklyn hatte, einen Mann, zu dem sie bald zurückkehren würde. Aber als er sprach, war sein Ton überraschend bescheiden. Jim sprach wie jemand, den man leicht verletzen konnte. Sie fragte sich, ober nur Theater spielte, aber er sah sie mit einem so verwundbaren Gesichtsausdruck an, dass sie nicht sofort wusste, was sie tun sollte. Sie begriff, dass er, sollte sie ablehnen, vielleicht allein, wie ein geschlagener Mann, hinunter zum Wasser gehen würde; irgendwie wollte sie das nicht mit ansehen müssen.
»Okay«, sagte sie.
Während sie ins Wasser wateten, fasste er sie einen Moment lang bei der Hand. Als eine Welle kam, rückte sie aber von ihm ab und schwamm, ohne zu zögern, direkt hinaus. Sie drehte sich nicht um, um zu sehen, ob er nachkam, sondern schwamm einfach weiter, bemüht, die Stelle, an der Nancy und George sich küssten und fest umschlungen hielten, ebenso zu meiden wie Jim Farrell.
Sie stellte dankbar fest, dass Jim, obwohl auch er ein geübter Schwimmer war, anfangs keinen Versuch unternahm, ihr zu folgen; er schwamm vielmehr in Rückenlage parallel zum Strand und ließ sie in Ruhe. Sie genoss das Wasser, hatte ganz vergessen, wie rein und still es war. Und wie sie sich so treiben ließ und in den blauen Himmel starrte und bloß die Füße bewegte, um nicht unterzugehen, näherte sich Jim ihr, achtete aber darauf, sie nicht zu berühren oder ihr zu nahe zu kommen. Als er ihrem Blick begegnete, lächelte er. Alles, was er jetzt tat, jedes Wort, das er sagte, und jede Bewegung, die er machte, wirkte bewusst, beherrscht und wohlüberlegt; er legte es sichtlich darauf an, sie nicht zu verärgern oder den Eindruck zu erwecken, dass er zu schnell vorpreschte. Und dabei brachte er, fast als einen Aspekt dieser Rücksichtnahme, sein Interesse an ihr absolut klar zum Ausdruck.
Sie hätte, wie ihr jetzt klarwurde, die Dinge sich nicht so rasch entwickeln lassen dürfen; sie hätte Nancy schon nach ihrem ersten Ausflug sagen müssen, die Pflicht verlange es von ihr, zu Hause bei ihrer Mutter zu bleiben oder mit ihr Ausflüge zu machen, und sie könne nicht wieder mit ihr und George und Jim Farrell ausgehen. Sie spielte kurz mit dem Gedanken, sich Nancyanzuvertrauen, ihr zwar nicht die ganze Wahrheit zu sagen, aber doch zumindest zu behaupten, dass sie sich bald nach ihrer Rückkehr nach Brooklyn verloben würde. Aber sie sah ein, dass es das beste sein würde, nichts zu tun. Schließlich würde sie schon bald zurückfahren.
Als sie zusammen mit Jim aus dem Wasser herauskam, hielt George einen Photoapparat bereit. Während Nancy zuschaute, stellte sich Jim hinter Eilis und legte die Arme um sie; sie spürte die Hitze, die von ihm ausging, seinen Oberkörper, der sich an sie presste, während George weitere Bilder von ihnen aufnahm, bevor Jim seinerseits Schnappschüsse von George und Nancy in der gleichen Pose machte. Als sie kurz darauf einen einsamen Wanderer von Norden, von Keating’s her, näher kommen sahen, warteten sie, und dann zeigte George dem Unbekannten, wie der Photoapparat funktionierte, und bat ihn, sie alle vier zusammen zu knipsen. Jim gab sich ganz nonchalant, aber nichts von dem, was er tat, war ohne Absicht, dachte Eilis, als sie das Gewicht seines Körpers wieder hinter sich spürte. Er achtete allerdings darauf, ihr nicht so nah zu kommen, wie George sich Nancy näherte. Kein einziges
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