Brooklyn
niemand mehr im Speisesaal gesessen hatte, der mittlerweile wohl ohnehin geschlossen war, nahm sie an, dass alle Passagiere in ihren Kabinen sein würden; manche von ihnen schliefen vielleicht sogar schon. In ihrer Aufregung und Sorge wurde ihr plötzlich bewusst, dass sie sich nicht nur die Zähne putzen und das Gesicht waschen, sondern auch ihre Blase und ihren Darm entleeren musste, und zwar schnell, fast dringend. Sie ging in ihreKabine zurück und versuchte noch einmal, die Badezimmertür zu öffnen, aber sie war nach wie vor abgeschlossen.
Sie ging wieder hinaus auf den Gang und machte sich, während ihr Bedürfnis immer dringlicher wurde, auf den Weg zum Speisesaal, aber sie fand nirgendwo eine Toilette. Sie stieg zwei Treppen hinauf in Richtung Deck, stellte aber fest, dass die Tür abgeschlossen worden war. Sie ging ein paar Gänge entlang und suchte am Ende von jedem nach einem Bad oder einer Toilette, fand aber keine. Man hörte nichts außer dem Lärm der Maschine, und der Seegang war so stark, dass Eilis, als sie wieder die Treppe hinunterstieg, sich zwingen musste, sich gut am Geländer festzuhalten, um nicht das Gleichgewicht zu verlieren.
Inzwischen war sie verzweifelt und glaubte nicht, dass sie es noch lange aushalten würde. Zuvor war ihr aufgefallen, dass es kurz vor beiden Enden ihres Ganges eine Nische gab, in der jeweils ein Eimer und ein paar Mops und Schrubber standen. Da sie unterwegs niemanden getroffen hatte, hoffte sie, dass mit etwas Glück auch niemand sehen würde, wie sie jetzt in die Nische auf der rechten Seite schlüpfte. Sie war froh, als sie sah, dass der Eimer schon etwas Wasser enthielt. Sie beeilte sich, versuchte, sich so schnell wie möglich zu erleichtern, und kauerte sich dabei dicht in die Nische, so dass sie, sollte doch jemand den Gang entlangkommen, nicht oder höchstens erst im Vorbeigehen zu sehen wäre. Als sie fertig war, wischte sie sich mit dem weichen Mop ab, schlich sich dann auf Zehenspitzen zurück zu ihrer Kabine und hoffte, Georgina würde kommen und wissen, wie sie ihre Nachbarn wecken und dazu bringen könnten, die Tür zum Badezimmer zu öffnen. Ihr ging auf, dass sie sich unmöglich offiziell darüber beschweren konnte, da man sie sonst womöglich mit dem, was man ohne Zweifel am folgenden Morgen im Eimer vorfinden würde, in Verbindung brachte.
Sie ging in ihre Kajüte, zog ihr Nachthemd an und schaltete das Licht aus, bevor sie in die obere Koje kletterte. Bald schlief sie ein.Sie wusste nicht, wie lang sie schlief, aber als sie aufwachte, war sie mit Schweiß bedeckt. Sie merkte bald, was mit ihr nicht stimmte. Sie musste sich übergeben. Im Dunkeln fiel sie fast aus der Koje und konnte es nicht verhindern, dass sie Teile ihres Abendessens erbrach, während sie, um ihr Gleichgewicht ringend, nach dem Lichtschalter tastete.
Als sie ihn gefunden hatte, ging sie an Georginas Schrankkoffer vorbei zur Tür und begann, kaum dass sie auf dem Gang war, sich heftig zu übergeben. Sie ließ sich auf die Knie nieder; anders konnte sie das Gleichgewicht nicht halten, da das Schiff so stark schlingerte. Sie begriff, dass sie versuchen musste, alles so schnell wie möglich zu erbrechen, bevor einer ihrer Mitpassagiere oder jemand von der Besatzung sie entdeckte, aber jedesmal, wenn sie dachte, sie wäre fertig, und aufstand, kehrte die Übelkeit zurück. Auf dem Weg zurück in die Kabine sehnte sie sich nur noch danach, sich auf der oberen Koje unter ihren Decken zu vergraben, und hoffte, niemand würde sie mit der Schweinerei auf dem Gang in Verbindung bringen, doch der Brechreiz wurde sogar noch intensiver und zwang sie, auf Händen und Knien zu Boden zu gehen. Sie erbrach eine zähe Flüssigkeit mit einem widerlichen Geschmack und musste sich, als sie den Kopf hob, vor Ekel schütteln.
Wenn sie bisher das Gefühl gehabt hatte, nach vorn zu fliegen und dann wieder zurückgeworfen zu werden, so schienen sie nun nur mit größter Mühe voranzukommen, fast als würden sie gegen etwas Hartes und Kraftvolles anrennen. Ein Lärm, als ob der gewaltige Ozeandampfer zu bersten drohte, schien gelegentlich sogar das Geräusch der Schiffsmotoren zu übertönen. Doch als sie sich, wieder in der Kabine, gegen die Tür zum Badezimmer lehnte, hörte sie ein anderes, erst undeutliches, dann, als sie das Ohr an die Tür legte, unverwechselbares Geräusch: Jemand würgte. Sie lauschte. Das Geräusch kam stoßweise. Sie hämmerte wütend gegen die Tür, als sie begriff, warum
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