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Brooklyn

Brooklyn

Titel: Brooklyn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Colm Tóibín
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in die Küche und überprüfte, ob die Teller für die erste Gruppe reichten, obwohl sie wusste, dass es genügend gab, und hob dann den Deckel des riesigen Kochtopfs, um zu sehen, ob der Rosenkohl kochte, auch wenn das Wasser noch nicht heiß genug war. Als eine der Miss Murphys sie fragte, ob der vorderste Tisch jetzt voll besetzt sei und ob jeder Mann ein Glas Stout habe, drehtesich Eilis um und sagte, sie habe ihr Bestes getan, um die Männer an die Tische zu holen, aber vielleicht werde Miss Murphy mehr erreichen. Sie versuchte zu lächeln und hoffte, dass Miss Murphy nichts Ungewöhnliches bemerken würde.
    Die nächsten zwei Stunden lang war sie damit beschäftigt, Essen auf die Teller zu häufen und jeweils zwei auf einmal in den Saal zu tragen. Father Flood tranchierte Truthähne und Schinken, sowie sie angeliefert wurden, und häufte Füllung und Bratkartoffeln in Schüsseln. Eine Zeitlang tat die eine Miss Murphy nichts anderes als spülen und abtrocknen und putzen und Platz schaffen, während ihre Schwester und Eilis die Männer bedienten und darauf achteten, dass jeder von allem bekam – Truthahn, Schinken, Füllung, Bratkartoffeln und Rosenkohl –, und ebenso darauf achteten, in der Hetze niemandem zuviel oder zuwenig aufzutun.
    »Es ist genug da, keine Sorge«, rief Father Flood, »aber nicht mehr als drei Kartoffeln pro Kopf und nicht zu großzügig mit der Füllung.«
    Als genug Fleisch aufgeschnitten war, ging er nach draußen und machte sich daran, mehr Flaschen Stout zu öffnen.
    Zunächst wirkten die Männer, die ihr Stout tranken, während sie auf die Suppe warteten, auf Eilis verwahrlost, und viele von ihnen rochen ziemlich streng, wie sie feststellte. Sie konnte es kaum fassen, wie viele es waren; manche von ihnen sahen sehr arm und sehr alt aus, aber selbst die Jüngeren hatten schlechte Zähne und wirkten erschöpft. Viele rauchten auch dann noch, als die Suppe kam. Sie gab sich alle Mühe, ihnen gegenüber höflich zu sein.
    Bald allerdings beobachtete sie eine Veränderung: Sie fingen an, miteinander zu reden, begrüßten sich lautstark über den ganzen Tisch hinweg, oder vertieften sich in leise, konzentrierte Gespräche. Anfangs hatten sie sie an Männer erinnert, die in Enniscorthy auf der Brücke saßen oder sich am Arnold’s Crossversammelten oder auf der Louse Bank am Slaney, oder an Männer aus dem Asyl oder an Männer aus der Stadt, die zuviel tranken. Aber als sie sie dann bediente und sie sich umdrehten, um ihr zu danken, erinnerten sie sie eher an ihren Vater und ihre Brüder, so wie sie sprachen und lächelten; die Rauheit ihrer Gesichter wurde durch Schüchternheit gemildert, was störrisch und hart gewirkt hatte, schien jetzt seltsam weich. Während sie den Mann bediente, den sie für ihren Vater gehalten hatte, sah sie ihn aufmerksam an und wunderte sich, wie wenig er ihm tatsächlich ähnelte; es war, als habe ihr das Licht einen Streich gespielt oder als habe sie sich das Ganze überhaupt nur eingebildet. Sie wunderte sich auch darüber, dass er mit seinem Tischnachbarn Irisch sprach.
    »Das war die wundersame Vermehrung der Puter und Schinken«, sagte Miss Murphy zu Father Flood, als auf allen Tischen Teller mit großen zweiten Portionen stehengelassen worden waren.
    »Nach Brooklyner Art«, sagte ihre Schwester. »Ich bin bloß froh, dass es zum Nachtisch Trifle gibt«, fügte sie hinzu, »und nicht Plumpudding und wir uns nicht darum zu kümmern brauchen, dass er warm bleibt.«
    »Sollte man nicht erwarten, dass sie wenigstens beim Essen die Mütze abnehmen?« fragte ihre Schwester. »Wissen die nicht, dass sie in Amerika sind?«
    »Es gibt hier keine Regeln«, sagte Father Flood. »Und sie können soviel rauchen und trinken, wie sie möchten. Hauptsache, sie kommen alle gut nach Hause. Es gibt immer ein paar, die ein bisschen zu angeheitert sind, um heimgehen zu können.«
    »Zu betrunken«, sagte die eine Miss Murphy.
    »Ach, an Weihnachten nennen wir das angeheitert, und bei mir zu Hause habe ich eine ganze Batterie von Betten für sie«, sagte Father Flood.
    »Aber jetzt bekommen wir unser Weihnachtsmahl«, sagte MissMurphy. »Ich deck den Tisch und hab für jeden von uns eine schöne Portion aufbewahrt, schön heiß.«
    »Ich hatte mich schon gefragt, ob wir überhaupt noch zu essen bekommen würden«, sagte Eilis.
    »Die arme Eilis. Sie ist am Verhungern. Schau sie dir nur an!«
    »Sollten wir nicht erst das Trifle servieren?« fragte Eilis.
    »Nein, wir warten

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