Brooklyn
fragte, ob sie ihm den Gefallen tun und am Weihnachtstag im Gemeindesaal arbeiten und Menschen, die sonst nirgendwo hinkonnten, Essen servieren wolle. Ihm sei bewusst, schrieb er, dass das ein großes Opfer für sie bedeuten würde.
Sie antwortete unverzüglich, solange sie nicht im Kaufhaus arbeiten müsse, stehe sie ihm während der ganzen Weihnachtszeit, einschließlich des Weihnachtstages, zur Verfügung, wann immerer sie brauche. Sie teilte Mrs. Kehoe mit, dass sie an Weihnachten nicht da sein, sondern für Father Flood arbeiten würde.
»Na, ich wünschte, du könntest ein paar von den anderen mitnehmen«, sagte Mrs. Kehoe. »Ich werde keine Namen nennen, aber das ist der eine Tag im Jahr, an dem ich gern ein bisschen Frieden habe. Wenn ich’s mir überlege, könnte ich mich selbst am Ende dir und Father Flood als bedürftige Person vorstellen. Nur um ein bisschen Frieden zu haben.«
»Sie wären bestimmt herzlich willkommen, Mrs. Kehoe«, sagte Eilis und fügte dann, als ihr bewusst wurde, wie beleidigend diese Bemerkung vielleicht geklungen hatte und Mrs. Kehoe sie anfunkelte, hinzu: »Aber natürlich werden Sie hier gebraucht. Und es ist doch schön, Weihnachten bei sich zu Haus zu verbringen.«
»Mir graut davor, wenn ich ehrlich sein soll«, sagte Mrs. Kehoe. »Und wären nicht meine religiösen Überzeugungen, würde ich es ignorieren, wie es die Juden tun. In manchen Vierteln von Brooklyn ist es ein Tag wie jeder andere auch. Ich sag mir immer, deswegen ist es an Weihnachten so bitterkalt – damit man es nicht vergisst. Und jetzt werden wir beim Weihnachtsessen auf dich verzichten müssen. Ich hatte mich darauf gefreut, ein Wexforder Gesicht am Tisch zu haben.«
Einmal sah Eilis auf dem Weg zur Arbeit in der State Street einen Mann, der Armbanduhren verkaufte. Sie war früh dran, und so hatte sie Zeit, sich seine Auslage anzuschauen. Sie kannte sich mit Uhren überhaupt nicht aus, aber die Preise erschienen ihr sehr niedrig. Sie hatte genügend Geld dabei, um für jeden ihrer Brüder eine zu kaufen. Vielleicht hatten sie ja schon Uhren – sie wusste, dass jedenfalls Martin die Armbanduhr ihres Vaters trug –, aber diese hier könnten ihnen nützlich werden, wenn die alten kaputtgingen oder repariert werden mussten, und sie kamen aus Amerika, was in Birmingham einiges bedeuten konnte. Außerdem waren sie leicht zu verpacken, und das Verschicken kostete nicht viel. Ein andermal sah sie während der Mittagspausebei Loehmann’s schöne Angorastrickjacken, die mehr kosteten, als sie hatte ausgeben wollen, aber am nächsten Tag kam sie zurück, kaufte je eine für ihre Mutter und Rose und packte sie zusammen mit den Nylonstrümpfen aus dem Ausverkauf ein und schickte sie nach Irland.
Allmählich begannen Weihnachtsdekorationen in den Schaufenstern und Straßen von Brooklyn zu erscheinen. Eines Freitags nach dem Abendessen, als Mrs. Kehoe die Küche verlassen hatte, fragte sich Miss McAdam laut, wann Mrs. Kehoe wohl dekorieren würde.
»Letztes Jahr hat sie bis zum letzten Augenblick gewartet, und dadurch war die ganze Stimmung weg«, sagte Miss McAdam.
Patty und Diana erklärten, sie würden das Fest in der Nähe des Central Park verbringen, bei Pattys Schwester und deren Kindern, und es würde ein richtiges Weihnachten werden, mit Geschenken und Besuch von Santa Claus. Miss Keegan sagte, es sei kein richtiges Weihnachten, wenn man nicht bei sich zu Haus in Irland sei. Sie würde den ganzen Tag traurig sein, und es sei sinnlos, so zu tun, als sei sie es nicht.
»Wissen Sie was?« warf Sheila Heffernan ein. »Amerikanische Truthähne schmecken nach nichts, selbst der, den wir zu Thanksgiving hatten, schmeckte höchstens nach Sägemehl. Es ist nicht Mrs. Kehoes Schuld, es ist in ganz Amerika so.«
»In ganz Amerika?« fragte Diana. »Egal, wo?« Sie und Patty fingen an zu lachen.
»Zumindest wird es still sein«, sagte Sheila betont und warf einen Blick in ihre Richtung. »Es wird nicht soviel gequasselt werden.«
»Oh, darauf würde ich nicht wetten«, sagte Patty. »Wir könnten den Schornstein runterkommen, um Ihren Strumpf zu füllen, gerade wenn Sie es am wenigsten erwarten, Sheila.«
Patty und Diana lachten beide wieder los.
Eilis erzählte keinem von den Mädchen, was sie zu Weihnachtenmachen würde; in der folgenden Woche wurde es allerdings irgendwann beim Frühstück klar, dass Mrs. Kehoe es ihnen erzählt hatte.
»O Gott«, sagte Sheila, »die holen jeden alten Tatterich von der
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