Brooklyn
Familie zu kochen. Bald stellte sich heraus, dass zwei Frauen das Sagen hatten. Als Father Flood erschien, machte er Eilis mit ihnen bekannt.
»Das sind die Miss Murphys aus Arklow«, sagte er. »Aber das nehmen wir ihnen natürlich nicht übel«, sagte er.
Die zwei Miss Murphys lachten. Sie waren große, vergnügt aussehende Frauen um die Fünfzig.
»Nur wir drei«, sagte die eine, » werden den ganzen Tag da sein. Die anderen Helferinnen kommen und gehen.«
»Wir sind diejenigen, auf die niemand zu Hause wartet«, sagte die andere Miss Murphy und lächelte.
»Jeweils eine Gruppe von zwanzig Personen bekommt ihr Essen gleichzeitig«, sagte ihre Schwester. »Jede von uns bereitet fünfundsechzig Portionen zu, vielleicht sogar mehr, die dreimal hintereinander serviert werden. Ich bin in Father Floods Küche, und ihr beide seid hier im Gemeindesaal. Sobald ein Truthahn angeliefert wird oder wenn die, die wir oben im Backofen haben,fertig sind, nimmt sich Father Flood sie und auch die Schinken vor und tranchiert alles. Der Backofen hier ist nur zum Warmhalten. Eine Stunde lang werden uns Leute Truthähne und Schinken und Bratkartoffeln bringen, und wir haben dafür zu sorgen, dass das Gemüse gar ist und heiß und auf der Stelle serviert werden kann.«
»Was immer man unter ›auf der Stelle‹ versteht«, warf die andere Miss Murphy ein.
»Aber wir haben jede Menge Suppe und Stout, um ihnen das Warten zu verkürzen. Sie sind sehr nett, alle miteinander.«
»Sind es alles Männer?« fragte Eilis.
»Ein paar Ehepaare kommen, weil die Frau zu alt zum Kochen ist oder sie sich einsam fühlen, aber der Rest sind Männer«, sagte Miss Murphy. »Und sie lieben die Geselligkeit, und es ist irisches Essen, wissen Sie, mit richtiger Füllung und Bratkartoffeln und völlig verkochtem Rosenkohl.« Sie lächelte Eilis zu und schüttelte seufzend den Kopf.
Sobald die Zehn-Uhr-Messe vorbei war, kamen die ersten Leute an. Father Flood hatte einen Tisch mit Gläsern und Flaschen Limonade und Süßigkeiten für die Kinder gedeckt. Er nötigte jeden, der hereinkam, einschließlich Frauen mit frischfrisiertem Haar, ein Papierhütchen aufzusetzen. Dadurch fielen die Männer, die den ganzen Weihnachtstag im Gemeindesaal verbringen würden und erst nach und nach eintrafen, in der Menge kaum auf. Erst später, am frühen Nachmittag, als die Besucher sich zu verlaufen begannen, waren sie deutlich zu erkennen, manche allein vor einer Flasche Stout, andere in Grüppchen, viele von ihnen noch immer stur mit einer Schirmmütze auf dem Kopf statt dem Papierhütchen.
Die Miss Murphys bemühten sich, die Männer, die als erste kamen, an einen oder zwei der langen Tische zu bekommen, um eine ausreichend große Gruppe zu bilden, die möglichst rasch Suppe bekommen konnte, damit die Teller anschließend gespültund von der nächsten Gruppe benutzt werden konnten. Als Eilis, entsprechend instruiert, losging, um die Männer dazu zu ermutigen, sich an den obersten, der Küche am nächsten stehenden Tisch zu setzen, bemerkte sie einen hochgewachsenen, leicht gebeugt gehenden Mann, der gerade in den Saal trat; er trug eine tief in die Stirn gezogene Schirmmütze, einen alten braunen Mantel und einen Schal um den Hals. Sie hielt einen Augenblick inne und starrte ihn an.
Er blieb stehen, sobald er die Eingangstür hinter sich zugezogen hatte, und die Art, wie er den Saal betrachtete, die Szene schüchtern und zugleich beglückt in sich aufnahm, gab Eilis für einen Moment die Gewissheit, dass ihr Vater plötzlich aufgetaucht war. Als sie sah, wie er zögernd seinen Mantel aufknöpfte und seinen Schal lockerte, hatte sie das Gefühl, sie sollte ihm entgegengehen. Es lag an der Art, wie er dastand, von dem Raum langsam Besitz ergriff, fast schüchtern nach dem einen Platz Ausschau hielt, an dem er sich am behaglichsten und entspanntesten fühlen würde, oder sich aufmerksam umsah, um festzustellen, ob er einen der Anwesenden kannte. Gerade als sie begriff, dass es nicht er sein konnte, dass sie nur träumte, nahm er seine Mütze ab, und sie sah, dass er nicht die geringste Ähnlichkeit mit ihrem Vater hatte. Sie warf verlegene Blicke um sich und hoffte, dass niemand sie bemerkt hatte. Das, dachte sie, würde sie nie jemandem erzählen können – dass sie einen Augenblick lang geglaubt hatte, sie habe ihren Vater gesehen, der, wie ihr sofort wieder einfiel, seit vier Jahren tot war.
Auch wenn der erste Tisch nicht voll geworden war, ging sie zurück
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