Brooklyn
sie nicht gedacht hatte, dass ein Mensch dazu fähig wäre, eine Art ersticktes Winseln, das überhaupt nicht mehr aufhören wollte. Als er sich nicht mehr bewegte, verkrampfte sie sich noch mehr und hoffte, er würde jetzt seinen Penis herausziehen, aber er blieb nur schwer atmend auf ihr liegen. Sie hatte den Eindruck, dass er jetzt nur noch seine Atmung registrierte, dass er in diesen Minuten, in denen sie unter seinem reglosen Körper dalag, gar nicht wusste, und es ihn auch nicht kümmerte, dass sie überhaupt existierte. Sie hatte keine Ahnung, wie sie sich jetzt noch in die Augen würden sehen können. Ohne sich zu rühren, wartete sie darauf, dass er etwas tat.
Was er schließlich tat, sobald er sich von ihr gelöst hatte, überraschte sie. Er stand wortlos auf, sah sie an, lächelte und zog seine Schuhe und Strümpfe aus und dann seine Hose und Unterhose. Er kniete sich auf das Bett und zog sie langsam aus, und als sie nackt war, die Arme schützend vor den Brüsten, zog er sein Hemd aus, so dass er gleichfalls nackt war. Er näherte sich behutsam, fast schüchtern, und hob die Bettdecke hoch, und sie schlüpften beide zwischen die Laken und blieben eine Zeitlang still liegen. Als sie ihn nach einer Weile berührte und sein Penis wieder erigiert war, erkannte sie, wie glatt und schön er war und um wieviel kräftiger er nackt wirkte, als wenn er mit ihr auf der Straße oder im Tanzsaalwar, wo er ihr, verglichen mit größeren oder breiter gebauten Männern, oft fast zerbrechlich erschienen war. Als sie begriff, dass er wieder in sie eindringen wollte, flüsterte sie ihm zu, dass er beim erstenmal zu tief eingedrungen war.
»Ich dachte schon, du würdest mir bis in die Kehle raufkommen.« Sie lachte lautlos.
»Schön wär’s«, sagte er.
Sie zwickte ihn fest.
»Nein, das wär’s nicht!«
»He, das hat weh getan«, flüsterte er, küsste sie und legte sich langsam auf sie.
Diesmal war der Schmerz noch schlimmer als zuvor, es war, als stieße er gegen etwas in ihr, das wund oder zerrissen war.
»Besser so?« fragte er.
Wieder machte sie sich ganz steif.
»He, das ist schön«, sagte er. »Kannst du so bleiben?«
Und auch diesmal schien er, als er tiefer eindrang, zu vergessen, dass sie bei ihm war. Er schien der Welt abhanden gekommen zu sein. Und dieses Gefühl, dass er sie hinter sich gelassen hatte, bewirkte, dass sie ihn mehr begehrte als je zuvor, ließ sie ahnen, dass dieses Erlebnis und später die Erinnerung daran für sie genug sein würde und ihr mehr bedeutete, als sie sich jemals hätte vorstellen können.
Am nächsten Tag wartete er nach der Arbeit auf sie, und sie gingen von der Fulton Street zur U-Bahnstation, ohne etwas zu sagen. Dort angelangt, verabredeten sie, sich nach Ende der Vorlesungen vor dem College zu treffen. Als sie sich trennten, wirkte er ernst, fast als sei er zornig auf sie. Später, nachdem er sie heimbegleitet hatte, drehte sie sich auf der ersten Stufe der Souterraintreppe um und sah, dass er noch immer dastand. Er grinste sie auf eine Weise an, die sie so sehr an das Grinsen seines Bruders Frank erinnerte, so lausbubenhaft und unschuldig,dass sie lachen musste und ihm scherzhaft mit dem Finger drohte.
Sobald sie in die Küche kam und das Wasser aufsetzte, war klar, dass Mrs. Kehoe, die allein am Tisch saß, nicht mit ihr reden wollte. Sie fühlte sich so unbeschwert, dass sie Mrs. Kehoe fast gefragt hätte, was denn los sei, aber statt dessen machte sie sich in der Küche zu schaffen und tat so, als sei ihr nichts Ungewöhnliches aufgefallen.
Ihr kam der Gedanke, dass Mrs. Kehoe, die im allgemeinen, da war sich Eilis sicher, nichts überhörte und alles mitbekam, Tony hereinkommen oder weggehen, oder – vielleicht noch schlimmer – während der Nacht gehört hatte. Unter allen Untaten, die die Mieterinnen begehen konnten, war diese eine noch nie, weder von den Mieterinnen selbst noch von Mrs. Kehoe, auch nur als Möglichkeit erwähnt worden. Sie war schlechterdings undenkbar. Sooft und so unbefangen Patty und Diana auch von Verehrern erzählten, dass eine von ihnen eine ganze Nacht in Gesellschaft ihres Verehrers verbringen oder ihm Zutritt zu ihrem Schlafzimmer gewähren könnte, kam einfach nicht in Frage. In dieser frostigen Atmosphäre, erzeugt durch Mrs. Kehoes Schweigen, beschloss Eilis, frech und mit allem Nachdruck abzustreiten, dass Tony auch nur in der Nähe ihres Zimmers gewesen war, und zu erklären, dass eine solche Vorstellung sie ebenso
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