Brooklyn
bestanden hätte, in die Verwaltung des Bartocci’s überzuwechseln. Als sie auf dem Flur Schritte näher kommen hörte, wusste sie, dass sie zwei Möglichkeiten hatte. Sie konnte sich vor ihm demütig geben und, selbst ohne alles zuzugeben, eine zerknirschte Entschuldigung andeuten, oder sie konnte sich Rose zum Vorbild nehmen, sich hinstellen, wie Rose es getan haben könnte, und so zu Father Flood sprechen, als sei sie zu keiner Missetat fähig.
Father Flood wirkte befangen, als er ins Zimmer kam, und sah ihr nicht sofort in die Augen.
»Ich hoffe, ich störe Sie nicht gerade, Vater«, sagte sie.
»O nein, überhaupt nicht. Ich habe nur die Zeitung gelesen.«
Sie wusste, dass es jetzt wichtig war, etwas zu sagen, bevor er den Mund aufmachte.
»Ich weiß nicht, ob Sie von meiner Mutter gehört haben, aber ich habe ein paar Briefe bekommen, und es scheint ihr ganz und gar nicht gutzugehen.«
»Das tut mir leid«, sagte Father Flood. »Ich hatte mir schon gedacht, dass es schwer für sie sein muss.«
Was immer er von ihr dachte, jedenfalls gelang es ihm, ihr zu verstehen zu geben, dass er mehr meinte, als er sagte: dass es für ihre Mutter nicht nur schwer sein konnte, Rose verloren zu haben, sondern darüber hinaus eine Tochter zu haben, die einen Mann mit nach Hause nahm und bei sich übernachten ließ.
Eilis sah ihm jetzt fest in die Augen und schwieg lang genug, um ihm klarzumachen, dass sie die unterschwellige Bedeutung seiner Worte verstanden hatte, aber nicht beabsichtigte, länger darüber nachzudenken.
»Wie Sie wissen, hoffe ich, nächsten Monat mein Abschlussexamen zu bestehen, und das würde bedeuten, dass ich dann geprüfte Buchhalterin wäre. Ich habe etwas Geld gespart, und dachte, ich könnte heimfahren, bloß um meine Mutter zu sehen, gerade so lange, wie das Bartocci’s mir unbezahlten Urlaub gibt. Außerdem habe ich, wie viele der anderen Mieterinnen auch, in letzter Zeit Schwierigkeiten mit Mrs. Kehoe, und wenn ich aus Irland zurückkomme, würde ich mir möglicherweise eine andere Unterkunft suchen.«
»Sie ist sehr nett, Mrs. Kehoe«, sagte Father Flood. »Heutzutage gibt es nicht mehr viele irische Pensionen wie ihre. Früher gab es mehr.«
Eilis entgegnete nichts.
»Sie möchten also, dass ich mit Bartocci rede?« fragte er. »Für wie lange würden Sie wegfahren wollen?«
»Einen Monat«, sagte Eilis.
»Und Sie würden zurückkommen und weiter im Verkauf arbeiten, bis im Büro eine Stelle frei würde?«
»Ja.«
Er nickte und schien über etwas nachzudenken.
»Möchten Sie, dass ich auch mit Mrs. Kehoe spreche?« fragte er.
»Ich dachte, das hätten Sie bereits.«
»Nicht seit Rose’ Tod«, sagte Father Flood. »Ich glaube, ich habe sie seitdem nicht gesehen.«
Eilis betrachtete prüfend sein Gesicht, konnte aber nicht erkennen, ob er die Wahrheit sagte.
»Könnten Sie sich nicht mit ihr wieder vertragen?« fragte Father Flood.
»Wie denn das?«
»Sie mag Sie sehr gern.«
Eilis sagte nichts.
»Ich mache Ihnen einen Vorschlag«, sagte Father Flood. »Ich bring das mit Bartocci in Ordnung, wenn Sie sich mit Ma Kehoe wieder vertragen.«
»Wie denn das?« wiederholte sie.
»Seien Sie nett zu ihr.«
Bevor sie bei Father Flood gewesen war, hatte Eilis gar nicht daran gedacht, zu einem kurzen Besuch heimzufahren. Aber sobald es ausgesprochen worden war und nicht lächerlich geklungen hatte und Father Floods Billigung gefunden hatte, wurde es zu einem Plan, zu etwas, was sie unbedingt tun wollte. Am folgenden Tag ging sie in der Mittagspause in ein Reisebüro und sah sich die Preise für Atlantiküberfahrten an. Sie würde warten, bis ihre Prüfungsergebnisse bekanntgegeben wurden, aber sobald sie sie wusste, würde sie für einen Monat heimfahren; hin und zurück würde es jeweils fünf, sechs Tage dauern, also würde sie zweieinhalb Wochen mit ihrer Mutter verbringen können.
Sie schrieb noch in derselben Woche ihrer Mutter, erwähnte aber nichts von ihren Plänen. Eines Tages sah sie Father Flood im Kaufhaus und wusste, dass er ihretwegen da war, weil er ihr imVorbeigehen zuzwinkerte, und sie hoffte, dass er bald Neuigkeiten für sie haben würde.
Am Freitag, nachdem Tony sie vom Tanzen heimbegleitet hatte, fand sie einen Brief von Father Flood vor, der persönlich abgegeben worden war. Bald darauf erschien Mrs. Kehoe in der Küche und erklärte, sie wolle Tee machen und hoffe, Eilis werde eine Tasse mittrinken. Eilis lächelte Mrs. Kehoe freundlich zu, ging dann
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