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Brooklyn

Brooklyn

Titel: Brooklyn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Colm Tóibín
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auch für irgendeinen Jahrestag auf.«
    »Ich wüsste gern, was sie davon halten werden.«
    »Der Film, in den ich mit dir gehe, heißt The Belle of New York . Das werden sie uns schon glauben. Aber dass wir nach dem Kino mit der U-Bahn heimgefahren sind und ich mich vor Mrs. Kehoes Haus von dir verabschiedet haben soll, das werden sie uns nicht abnehmen.«
    Als sie fertig gegessen hatten, gingen sie zusammen zur U-Bahnstation und warteten auf die Bahn, die sie in die Stadt bringen würde.

Vierter Teil

Eilis’ Mutter zeigte ihr Rose’ Zimmer, das erfüllt vom Licht der Morgensonne war. Sie habe alles, sagte sie, genauso gelassen, wie es war, einschließlich aller Sachen im Kleiderschrank und in der Kommode.
    »Ich habe die Fenster putzen und die Gardinen waschen lassen und im Zimmer Staub gewischt und gekehrt, aber ansonsten ist es genau so, wie es war«, sagte ihre Mutter.
    Das Haus selbst wirkte auf Eilis nicht fremd; sie bemerkte lediglich seine handfeste, vertraute Atmosphäre, den Geruch nach Essen, die Schatten, den Eindruck, dass ihre Mutter überall präsent war. Aber auf die Stille von Rose’ Schlafzimmer war sie nicht gefasst gewesen, und als sie dastand und es sich ansah, spürte sie fast gar nichts. Sie fragte sich, ob ihre Mutter jetzt von ihr erwartete, dass sie in Tränen ausbrach, oder das Zimmer unverändert gelassen hatte, damit sie Rose’ Tod nur um so eindringlicher spüren könnte. Sie wusste nicht, was sie sagen sollte.
    »Und an einem der nächsten Tage«, sagte ihre Mutter, »können wir die Kleider durchsehen. Rose hatte sich gerade einen neuen Wintermantel gekauft, und wir werden sehen, ob er dir passt. Sie hatte wunderschöne Sachen.«
    Eilis fühlte sich plötzlich unendlich erschöpft und wäre am liebsten gleich nach dem Frühstück wieder ins Bett gegangen, aber sie wusste, dass ihre Mutter diesen Moment, wenn sie beide zusammen in dieser Tür stehen und diesen Raum betrachten würden, schon lange geplant hatte.
    »Weißt du, manchmal glaube ich, sie ist noch am Leben«, sagteihre Mutter. »Wenn ich das leiseste Geräusch oben höre, denke ich manchmal, das muss Rose sein.«
    Während des Frühstücks wünschte sich Eilis, es fiele ihr etwas mehr ein, was sie sagen könnte, aber es war schwierig, da ihre Mutter sich jedes einzelne Wort, das sie sagte, im voraus zurechtgelegt zu haben schien.
    »Ich habe einen Kranz extra für dich in Auftrag gegeben, den du auf ihr Grab legen kannst, und wir können in ein paar Tagen hin, wenn das Wetter so bleibt, und dann sagen wir ihnen, dass sie Rose’ Namen und Lebensdaten unter die deines Vaters setzen sollen.«
    Eilis fragte sich einen Augenblick lang, was passieren würde, wenn sie ihre Mutter unterbräche und sagte: »Ich habe geheiratet.« Vermutlich würde ihre Mutter es geflissentlich überhören oder so tun, als habe sie nichts gesagt. Andernfalls, stellte sie sich vor, könnte die Fensterscheibe zerspringen.
    Als es ihr endlich gelang, zu erklären, sie sei müde und müsse sich ein bisschen hinlegen, hatte ihre Mutter ihr noch keine einzige Frage über ihre Zeit in Amerika oder auch nur über ihre Heimreise gestellt. Genauso wie sich ihre Mutter anscheinend vorgenommen hatte, was sie ihr sagen und zeigen wollte, hatte Eilis diesen ersten Tag geplant. Sie hatte sich vorgenommen zu erzählen, wie glatt die Überfahrt von New York nach Cobh im Vergleich zu ihrer ersten Reise von Liverpool aus gewesen war und wie sehr sie es genossen hatte, auf Deck zu sitzen und sich zu sonnen. Sie hatte ihrer Mutter auch den Brief vom Brooklyn College zeigen wollen, in dem stand, dass sie ihr Examen bestanden hatte und demnächst eine Urkunde zugeschickt bekommen würde, die sie als geprüfte Buchhalterin auswies. Sie hatte ihrer Mutter außerdem eine Strickjacke, ein Schultertuch und Strümpfe mitgebracht, aber ihre Mutter hatte die Sachen fast achtlos beiseite gelegt und gesagt, sie würde sie später auspacken.
    Eilis genoss es, die Tür ihres alten Zimmers zu schließen unddie Vorhänge zuzuziehen. Sie wollte jetzt nur noch schlafen, auch wenn sie vergangene Nacht im Hotel in Rosslare Harbour gut geschlafen hatte. Sie hatte Tony von Cobh aus eine Postkarte geschickt, um ihm zu sagen, dass sie wohlbehalten angekommen war, und hatte ihm aus Rosslare einen Brief mit einer Schilderung der Überfahrt geschrieben. Sie war froh, dass sie ihm nicht jetzt zu schreiben brauchte von ihrem Schlafzimmer aus, das ganz leblos erschien und sie fast erschreckte,

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