Brother Sister - Hoert uns einfach zu
langsam ich konnte, und ließ den Abstand immer größer werden.
Als ich den Waldrand erreichte, saß Will auf einem Felsvorsprung und stützte den Kopf in die Hände. Es war nicht irgendein Felsvorsprung, sondern sein ganz spezieller. Der, zu dem er immer ging, wenn er nachdenken wollte. Craigs Leiche lag zusammengekrümmt neben seinen Füßen.
»Ich brauch deine Hilfe«, sagte er. »Tut mir leid, aber das hier schaff ich ohne dich nicht.«
Also ich … ja. Ich hab ihm geholfen. Ich wollte nicht, aber ich … ich hatte keine Wahl. Jedenfalls kam es mir in dem Moment so vor.
Ich nahm Craigs Füße und Will seine Arme. Dann schaukelten wir ihn vor und zurück, um Schwung zu holen, bis wir ihn losließen und er über die Klippe ins Meer segelte.
Dann wartete ich da oben. Ich zitterte, obwohl mir nicht kalt war. Will schob das Fahrrad in unseren Garten zurück und versteckte es hinten im Schuppen.
Als er zurückkam, standen wir noch eine Ewigkeit so da und starrten aufs Meer.
»Pass auf, ich sag dir jetzt, was wir erzählen«, sagte Will. »Er hat dich gestern Abend angerufen, während der Party, um dir zu sagen, dass er Nachtsurfen gehen wollte. Okay? Du hast versucht, es ihm auszureden, aber er wollte nicht auf dich hören. Er war so betrunken, dass er lallte. Er wollte, dass du mitkommst und ihm zuschaust, aber er hat auch gesagt, dass er auch ohne dich gehen würde. Wir sollten schnell damit anfangen, dieses Gerücht in die Welt zu setzen. Wenn seine Leiche dann irgendwann an Land gespült wird, macht es bei den Leuten im Kopf Klick . Man wird denken, dass er im Dunkeln an einen Felsen getrieben wurde. Das ist so plausibel, dass keine weiteren Fragen gestellt werden. Meinst du, du schaffst das?«
Ich muss wohl genickt haben. Ich war wie erstarrt und hörte kaum, was er sagte.
»Okay«, sagte er und drückte mir die Hand. Dann kletterte er die Klippe runter, um nachzusehen, ob da unten alles klar war.
Ich wartete oben auf ihn. Ich konnte mich sowieso nicht bewegen. Es fing schon an, hell zu werden. Dann wurde es am Horizont rosa und gelb und lila, als ob jemand dem Himmel über Nacht in den Hintern getreten hätte und der Bluterguss langsam sichtbar würde. Es sah genauso aus, wie ich mich fühlte. Und ich war mir ziemlich sicher, dass ich mich bis in alle Ewigkeit so fühlen würde.
Will
Doch, es wurde öfter mal brenzlig. Die Leute reden nun mal und lassen sich lauter Blödsinn einfallen. Schließlich kann man ihre Gedanken nicht kontrollieren. Aber es war bloß Gerede. Nichts Wirkliches. Nichts, wofür man uns rankriegen konnte. Trotzdem frisst es an einem. Schon der Gedanke , dass die Leute über einen reden könnten, macht es einem schwer, cool zu bleiben.
Ein paar Tage später bin ich zum Beispiel golfen gegangen. Am Dienstag. Dienstags ging ich immer golfen. Ich wollte alles genauso machen wie immer. Ich war allein. Nach neun Löchern ging ich ins Clubhaus, um eine Limonade zu trinken, ehe ich die zweiten neun Löcher anging. Es war halb eins, eins. Und wer saß da an der Bar und schlürfte eine Cola Light? Naomi.
Es war keine Weltsensation, sie da zu sehen. Sie ist ja mit Sylvia befreundet, dieser Hippietante. Eigentlich ist sie ein Exhippie, sie ist ja schon fünfzig oder so. Sie arbeitet tagsüber an der Bar, schon seit Ewigkeiten. Ich glaube, Naomi babysittet manchmal Sylvias Kinder.
Jedenfalls hing sie über dem Bartresen und unterhielt sich mit Sylvia, während sie sich im Fernseher über der Bar irgend so n Schmachtfetzen im Lifetime-Kanal ansahen.
Als ich reinkam, hörten sie sofort auf zu reden. Naomi setzte sich gerade hin und drehte sich zu mir um. Dann lehnte sie sich mit dem Rücken an die Bar und schob die Brüste vor. Ob sie das absichtlich tat? Jedenfalls hatte ich den Eindruck.
»Hey, das war ne Mörder-Party, Will«, sagte sie. Sie lächelte schief und nahm einen großen Schluck von ihrer Cola. »Euer Haus ist total irre. Wie ein Centercourt oder eine Tanzfläche mit Zuschauertribünen. Asheley sagt, euer Dad hat es selbst gebaut.«
Es klang, als hätte sie diese kleine Rede auswendig gelernt, um mit mir ins Gespräch zu kommen, wenn sie mich das nächste Mal traf. Ich wusste nicht, was ich davon halten sollte – ob sie jetzt scharf auf mich war oder einen Verdacht hatte.
»Ja, das stimmt«, sagte ich.
»Er muss ein toller Architekt sein«, sagte sie.
Was sollte ich dazu sagen? Ich konnte ihr doch nicht erzählen, was für ein Arsch er war. Dann hätte ich wie ein Loser
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