Broughton House - Haus der Sehnsucht
nicht mehr aus. Was ist mit uns los, Nell? Was ist mit dir los?“
„Mit mir?“ Weshalb gab Marcus ihr das Gefühl, allein an allem schuld zu sein?
Wo waren die Harmonie und die Nähe geblieben, die sie einst verbunden hatten und die sie in ihrer Einfalt als selbstverständlich hingenommen hatte? Weshalb war beides verloren gegangen?
Unendliche Trauer erfasste Eleanor und verdrängte ihren Ärger. Sie fühlte sich hilflos und verloren, und sie hatte Angst. Tief im Innern ahnte sie, dass dieser Streit ihre Beziehung erheblich beeinträchtigen würde. Und sie nahm es Marcus übel, dass er ihn nicht verhindert hatte.
War er ebenso enttäuscht von ihr wie sie von ihm? Machten ihre Verletzlichkeit und ihr Schmerz sie weniger reizvoll für ihn?
Marcus hatte ihre Ruhe und ihre Selbstbeherrschung immer bewundert. Wo war beides geblieben?
Diese Verärgerung und diese Heftigkeit waren eine ganz neue Erfahrung. Mit Allan hatte sie so etwas nie erlebt. Ihre erste Beziehung war einfach abgeflacht und zu Ende gegangen. Weder ein heftiger Streit noch sonstige Gefühlsausbrüche hatten sie auseinandergetrieben.
Es kränkte Eleanor mehr, als sie zugeben wollte, dass Marcus nicht heftig aufbegehrt hatte, weil sie in die Provence reisen wollte.
Was hatte sie eigentlich gehofft? Dass er sie inständig bitten würde, hierzubleiben, und ihr versicherte, dass er ohne sie nicht zurechtkäme?
So konnte nur eine Frau mit geringem Selbstwertgefühl und wenig Selbstbewusstsein denken. Und solch eine Frau war sie nicht, oder?
„Ich versuche doch nur, es dir leichter zu machen“, sagte Marcus kläglich. „Du möchtest in die Provence reisen und behauptest, es ginge nicht, weil Vanessa und ihre Freundin hier sind. Nachdem ich dir jetzt vorgeschlagen habe, mich selber um die Mädchen zu kümmern, beschuldigst du mich, dich loswerden zu wollen.“
Eleanor wandte sich ab. Wie sollte sie Marcus beibringen, dass sie Angst hatte? Dass sie nicht weggehen und ihn mit Vanessa allein lassen wollte, für den Fall …
Für welchen Fall? Dass seine Tochter ihn endgültig gegen sie aufbrachte? Sorgte sie, Eleanor, nicht schon allein dafür? Weshalb hatte sie plötzlich das Gefühl, dass Marcus’ Liebe nicht so stark war wie ihre – dass er sie weniger brauchte als sie ihn?
„Ich verstehe das nicht, Nell. Ich gebe mir größte Mühe.“
Eleanor holte tief Luft, schloss die Augen und verdrängte die Tränen, die hinter ihren Lidern brannten. „Tut mir leid, Marcus. Es ist einfach …“ Sie schüttelte den Kopf. „Du hast recht. Wahrscheinlich ist es für Vanessa besser, wenn sie dich einige Tage für sich allein hat.“
„Meine Güte, Nell. Es geht nicht um Vanessa. Ich tue das für dich!“
Eleanor lächelte freudlos. Marcus’ Versicherung kam reichlich spät. Sie konnte ihren Schmerz nicht mehr vertreiben.
„Weshalb passieren solche Dinge immer zur ungelegensten Zeit, Marcus? Ich brauche diese Arbeit dringend. Andererseits müsste ich unbedingt hierbleiben. Das Haus …“
Sie hielt inne, denn Marcus stöhnte ungeduldig. Sie war am Ende ihrer Kräfte und fragte sich, ob er einen ähnlichen Groll und Schmerz vor ihr verbarg wie sie vor ihm.
Gestern Abend hatten sie sich geliebt – wenn man es denn so nennen konnte. Es war völlig mechanisch und schweigsam geschehen. Später, als sie sicher sein konnte, dass Marcus schlief, hatte sie sich auf den Rücken gedreht und ihren Tränen freien Lauf gelassen. Wie weit war dieser Abend von jener ekstatischen Leidenschaft entfernt gewesen, die sie einst verbunden hatte.
Als Marcus und sie zum ersten Mal miteinander geschlafen hatten, war sie furchtbar nervös und unsicher gewesen. Nicht weil sie Marcus liebte und begehrte, sondern weil sie Angst hatte, ihn zu enttäuschen oder von sich selber enttäuscht zu werden.
Das Leben als erfolgreiche alleinerziehende Frau hatte sie zwar gelehrt, dass sie nicht verpflichtet war, etwas zu unternehmen, um einen Mann zu befriedigen, und dass sie ebenso das Recht hatte, zu nehmen wie zu geben. Doch ihre frühere Erziehung und das Gefühl, ständig um die Liebe und Anerkennung ihrer Eltern ringen zu müssen – eine Last, die sie in ihre erste Ehe mitgenommen hatte und die einer der Gründe für das Scheitern ihrer Beziehung mit Allan gewesen war, wie sie heute wusste –, hatten noch in der Tiefe ihres Unterbewusstseins gelauert. Nie hatte sie es stärker empfunden als zu jenem Zeitpunkt. Sie hatte sich nicht nur körperlich vor Marcus entblößt,
Weitere Kostenlose Bücher