Broughton House - Haus der Sehnsucht
weh.
Louise besaß keine perfekten Kenntnisse in den modernen westeuropäischen Sprachen und hätte keine Chance gehabt, einen Vertrag mit Pierre Colbert abzuschließen. Wenn sie seiner Bitte, ihm Eleanors Privatnummer zu geben, nicht nachgekommen war, konnte es nur aus Boshaftigkeit geschehen sein.
Dieses Verhalten schmerzte umso mehr, als Eleanor Louise gestanden hatte, wie besorgt sie war, sie könnte durch die Auflösung ihrer Firma etliche Aufträge verlieren. Wegen des geplanten Umzugs musste sie alles daransetzen, ihr gegenwärtiges Einkommen beizubehalten.
Oh ja, Louise wusste, wie viel ihr der Vertrag mit Pierre Colbert bedeutet hätte.
Seufzend betrachtete Eleanor das Briefdatum. Sie konnte unmöglich nach Frankreich reisen, während Vanessa und Sasha zu Besuch waren.
Abends erzählte sie Marcus von dem Brief. „Natürlich kann ich jetzt nicht weg“, fügte sie mutlos hinzu. „Ich werde Monsieur Colbert anrufen und es ihm mitteilen.“
Marcus hörte ihr stirnrunzelnd zu. Was war mit der Eleanor passiert, in die er sich einmal verliebt hatte und die seine Frau geworden war? Jener Eleanor, die ihn mit ihrem Lachen und ihrer zuversichtlichen, positiven Lebenseinstellung bezaubert hatte; die stets Zeit fand, sich seine Probleme anzuhören, und die interessiert an seinem Leben teilgenommen hatte; die ihm das Gefühl gab, bei ihr an erster Stelle zu stehen. Die jetzige Eleanor schien mehr an einem Haus interessiert zu sein als an ihm – an einem Haus und an ihren Kindern. Selbst im Bett redete sie noch über Broughton House und machte sich Sorgen.
Was ist mit mir los? überlegte Marcus verärgert. Schließlich war er ein Mann und kein kleiner Junge mehr. Er kannte sich gut genug, um zu wissen, dass seine Gereiztheit, seine Verärgerung, ja seine Eifersucht nicht auf Eleanors Beschäftigung mit Broughton House beruhte, sondern eine Spätfolge seiner Kindheit und des Eindrucks war, dass seine Mutter ihn nicht geliebt hatte. Dass sie ihn schon deshalb nicht hatte lieben können, weil er demselben Geschlecht angehörte wie sein armer verachteter Vater.
Das Verhalten seiner Großmutter hatte dieses Gefühl noch verstärkt, ebenso seine erste Ehe.
Es hatte eine ganze Weile gedauert, bis ihm klar geworden war, dass er mit Julia instinktiv eine Frau gewählt hatte, bei der er dieselbe Rolle eines zurückgewiesenen Mannes spielen musste wie bei seiner Mutter und seiner Großmutter.
Bei Eleanor war das nicht so gewesen. Von Anfang an hatte er sich nicht nur körperlich zu ihr hingezogen gefühlt. Er hatte gleich gemerkt, dass sie anders war als die Frauen, die bisher eine herausragende Rolle in seinem Leben gespielt hatten. Eleanor war verletzlich und einfühlsam, sanft und warmherzig. Aufrichtig nahm sie an dem Schicksal ihrer Mitmenschen teil, was er bei seiner Mutter und seiner Großmutter nie erlebt hatte.
Ihr Zögern und ihre sexuelle Unsicherheit zu Beginn ihrer Bekanntschaft hatten sie enger zusammengeschweißt. Weil Eleanor noch unsicher war, hatte er Zeit gehabt, seine eigenen Bedürfnisse zu erkennen. Nie war er eifersüchtig auf ihre Beziehung zu ihren Söhnen, auf ihre Liebe und Fürsorge für Tom und Gavin gewesen. Eleanors Einverständnis, dass ihre Bindung zueinander stark genug wäre und nicht durch ein weiteres gemeinsames Kind bekräftigt zu werden brauchte, hatte seine Gefühle für sie noch verstärkt und ihm Sicherheit gegeben.
Doch jetzt war er nicht nur verärgert und gereizt, er fühlte sich auch bedroht.
Wegen eines Hauses? Wegen der Art und Weise, wie Vanessa mit ihr sprach? Weshalb waren Eleanor das Haus und seine Tochter so wichtig? Reichte es nicht, dass sie beide sich verstanden? Oder liebte sie ihn trotz gegenteiliger Beteuerung nicht so bedingungslos, wie er geglaubt hatte? Stürzte Eleanor sich auf das neue Haus, um sich von der Erkenntnis abzulenken, dass ihre gegenseitige Liebe nicht ausreichte?
Bei seinem Jurastudium hatte Marcus gelernt, die Probleme sorgfältig zu analysieren und logisch anzugehen. Während er Eleanor zuhörte, die all die Dinge aufzählte, die sie zu tun hätte und die ihr langsam über den Kopf wuchsen, versuchte er, seinen Ängsten mit Logik zu begegnen. Eigentlich hatte er keinen Grund, verärgert zu sein. Aber er begriff nicht, dass Eleanor die Gelegenheit nicht am Schopf packte und den neuen Vertrag abschloss, nur weil sie wegen Broughton House zu Hause gebraucht wurde.
Endlich holte Marcus tief Luft und rief: „Meine Güte, Nell! Hör auf mit
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