Broughton House - Haus der Sehnsucht
sie gewesen, als er sie am frühen Abend angerufen hatte? Er wusste, dass sie gelogen hatte. Es war ihrem Blick deutlich anzusehen gewesen. Hatte sie jemand anders kennengelernt? Einen Mann, der ihr all das geben konnte, wozu er, Ben, nicht in der Lage war?
Er hatte angenommen, dass er nach dem heutigen Tag zu benommen wäre, um noch mehr Schmerz zu empfinden. Aber er irrte sich. Die Verzweiflung überwältigte ihn und erfasste jede Faser seines Wesens.
Seine Gefühle waren so tief, und seine Liebe zu Zoe war so groß, dass er es manchmal nicht einmal vor sich selber zugeben mochte. Sein Leben lang hatte er sich gegen solch eine Verwundbarkeit gewehrt. Sie war ein Luxus, den jemand wie er sich nicht leisten konnte. Er durfte nicht so lieben. Er hatte andere Verpflichtungen, andere Verantwortungen. Bis er Zoe kennengelernt hatte, war er davon überzeugt gewesen, seine eigenen Bedürfnisse unter Kontrolle zu haben.
Zoe … Ben blickte zu dem Bett hinüber. Theoretisch besaß sie alles, was er am wenigsten leiden konnte. Ihr Selbstbewusstsein, ihre Selbstsicherheit, ihre Zuversicht und ihr Glaube an die Bereitschaft der anderen, ihr alles recht zu machen, hatten nichts mit der Wirklichkeit zu tun, sondern waren das Ergebnis ihrer behüteten Erziehung, die sie vor jedem seelischen und materiellen Schaden bewahrt hatte.
Doch statt sich über Zoe zu ärgern, hatte er sich in sie verliebt. Er ließ sich von ihr herumschieben und herumkommandieren und hatte ihr erlaubt, sein und ihr Leben in die Hand zu nehmen. Doch gleichzeitig tat er, was er bei allen tat, die ihm nahestanden: Ohne dass sie es merkte, wachte er schützend über sie.
Er hatte oft darüber nachgedacht, wie es wäre, wenn er Zoe wieder verlieren würde. Er hatte alles versucht, um sich darauf vorzubereiten und sich innerlich gegen den Schmerz zu wappnen, denn er wusste, dass er sie gehen lassen würde, wenn sie es wollte. Während der letzten Monate hatte er allerdings den Eindruck gehabt, dass er sich deswegen keine Sorgen zu machen brauchte und Zoe tatsächlich bei ihm bleiben wollte. Auf die Tatsache, dass sie ihn anlügen könnte, war er nicht gefasst gewesen.
Er hatte es einfach nicht erwartet. Eine kühne, trotzige Erklärung, dass sie jemand anders kennengelernt hätte, ja. Aber eine Lüge, eine bewusste Täuschung – das nicht.
Erneut betrachtete Ben ihren entspannten Körper. Wie gern hätte er Zoe heute Abend in die Arme genommen, um seinen Schmerz zu vergessen, während er in sie eindrang und ihre rasche Reaktion spürte.
Er konnte ihr nicht erzählen, was geschehen war und was er dabei empfunden hatte. Es war ihm noch nie leichtgefallen, offen über seine Gefühle zu reden. Wie hätte er Zoe jene langen Stunden des Wartens, der Hoffnung und am Ende der schrecklichen Gewissheit beschreiben sollen?
Hilflos hatte er bei Sharon gesessen, die Hand seiner Schwester gehalten und das entsetzte Mädchen zu trösten versucht, das ihn in ihrem Leid anflehte, ihr zu helfen und der Qual ein Ende zu bereiten, während ihr Körper das kleine leblose Wesen ausstieß.
„Genau das wolltest du doch“, hatte Zoe ihm verbittert vorgeworfen. Sie ahnte nichts von der Seelenqual, der Wut und der Verzweiflung, die ihn bei dem Gedanken erfasst hatte, dass all seine Liebe, all seine Unterstützung seine Schwester nicht vor dem Schmerz und ihr Kind nicht vor dem Tod hatten bewahren können.
Erneut blickte Ben zu dem Bett hinüber. Sein Körper verlangte dringend nach Schlaf. Er hatte die ganze letzte Nacht bei Sharon gewacht. Aber seine Gedanken ließen ihm keine Ruhe.
„Zoe?“, hatte man ihm bei seinem Anruf im Hotel gesagt. „Tut mir leid. Sie ist schon vor Stunden gegangen. Sie wollte sich noch mit jemandem treffen.“
Ben hatte ein entsetzlich schlechtes Gewissen, dass er ausgerechnet heute Nacht, wo seine Gedanken bei seiner Schwester sein sollten, so egoistisch war und nur an seine eigenen Bedürfnisse und Ängste dachte.
Das war es, wovor er sich immer gefürchtet hatte: dass die Liebe zu einer Frau ihn von seinen Verpflichtungen gegenüber den anderen Menschen ablenken könnte und er furchtbar selbstsüchtig wurde.
Zoe schrie im Schlaf. Es war ein kurzer, gequälter Aufschrei voller Angst und Verzweiflung.
Ben ging zu ihr, strich ihr das feuchte Haar aus dem Gesicht und streichelte sie zärtlich.
„Es ist alles in Ordnung, Zoe“, log er leise. „Alles ist in Ordnung.“
Freudlos richtete er sich auf und ging wieder hinüber zum
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