Broughton House - Haus der Sehnsucht
nicht zu sehr bummelte, hatte sie gerade noch Zeit, einen ihrer Lieblingsumwege zu machen. Falls Nick recht hatte, würde sie nicht mehr oft Gelegenheit dazu haben.
Obwohl Broughton House keine Meile von der Stadt entfernt lag, war es immer noch von Feldern umgeben und blickte auf eine offene Landschaft. Die Architekten hatten es so geschickt gebaut, dass die Seite zur Stadt die wenigsten Fenster besaß.
Das Haus war einst für einen reichen Kaufmann entworfen worden, der aus Indien zurückgekehrt war. Da ihm die vorhandenen Gebäude nicht gefielen, hatte er sich ein neues auf dem Land in der Nähe seiner Geburtsstadt gebaut.
Das beinahe vier Morgen große Gelände war in den letzten eineinhalb Jahren von Mrs Broughtons Leben ein bisschen verwildert. Doch Fern liebte das überlange Gras mit den unzähligen bunten Krokussen, das Moos, das die Pfade bedeckte, und den jetzigen Zustand, den andere vielleicht als Vernachlässigung bezeichnet hätten.
Für sie, Fern, bekam das Gebäude dadurch etwas Geheimnisvolles. Als warte es auf die magische Berührung durch einen neuen Eigentümer, der seine ursprünglich Schönheit wiederherstellen wollte. Aber solche Gedanken behielt Fern für sich. Sie wusste, dass Nick nur darüber spotten würde.
Sie schlenderte durch den Rosengarten, der um diese Jahreszeit noch kahl war, und betrachtete einen jungen Reiher, der auf dem moosbewachsenen Rand des runden Goldfischteichs stand.
In der Tiefe lockten ein Dutzend oder mehr fette Goldfische. Doch Fern nahm an, dass sie zu klug waren, um bei so kaltem Wetter an die Oberfläche zu kommen. Der junge Jäger würde wohl noch lange auf seine Beute warten müssen.
Durch die Rhododendronbüsche, die dringend geschnitten werden mussten, erkannte Fern das Haus. Aber das war heute nicht ihr Ziel.
Sie entfernte sich von dem Gebäude und wanderte zwischen dem einst hübsch angelegten Gesträuch weiter. An dem mit Unkraut übersäten Pfad blühten die Überreste eines Krokusbeetes im Gras. Nur vereinzelte Flecken und Büschel waren davon geblieben.
Beinahe zehn Minuten brauchte Fern, bis sie sich einen Weg zu der kleinen, schalenförmigen Einfriedung in der Mitte gebahnt hatte. Die Steinbank an ihrem Rand war mit Flechten überzogen, und die Löwenmasken am Sockel und an den Lehnen waren stark verwittert.
Zu dieser Jahreszeit waren nur die ersten Triebe der Lilien zu erkennen. Später, in voller Blüte, würden sie das Becken mit unzähligen Farbringen vom blassesten Creme bis zum dunkelsten Gold und vom hellsten Blau bis beinahe Purpur füllen.
Mrs Broughton hatte sie selber zu dieser Stelle geführt und ihr deren Geschichte erzählt. Die Großmutter ihres Mannes hatte die Senke anfertigen und bepflanzen lassen, nachdem sie solch eine Anlage, wenn auch wesentlich größer, bei einem Besuch in Amerika gesehen hatte.
Die Lilien hatten damals geblüht, und Fern erinnerte sich, dass ihr bei dem Anblick Tränen in die Augen gestiegen waren. Die Schönheit hatte sie beinahe überwältigt.
Wenn Nick recht hatte und Adam dem Konsortium angehörte, welches das Haus kaufen und das Gelände kommerziell nutzen wollte, würde sie das kleine Wunder aus blühenden Lilien dieses Jahr zum letzten Mal sehen.
Langsam setzte sie sich auf die Steinbank, und Tränen verschleierten ihren Blick. Waren es Tränen wegen der Zerstörung dieser kleinen Oase der Schönheit oder Tränen um sich selber? Entschlossen blinzelte sie sie fort.
Fern erstarrte und versuchte verzweifelt, sich den Schreck nicht anmerken zu lassen. Sie brauchte nicht nachzusehen, wem die ruhige männliche Stimme gehörte.
Weshalb erschreckst du eigentlich? spottete ihre innere Stimme. Du hast gewusst, dass Adam hier sein könnte. Deshalb bist du doch gekommen, nicht wahr? Nicht, um den Garten noch einmal zu sehen.
Fern sprang auf und sah Adam mit ausdrucksloser Miene an. „Adam!“
Ihre Stimme verriet nichts von dem endlosen vernichtenden Kampf, der in ihr tobte. Er gehörte so sehr zu ihrem Leben, dass sie die schmerzenden Wunden, die er ihr beigebracht hatte, schon lange nicht mehr spürte, sondern als Teil jenes Preises betrachtete, den sie für ihre Schuld bezahlen musste.
Instinktiv wich sie in den Schatten zurück, um einen Abstand zu Adam zu wahren und ihre Augen und ihren Gesichtsausdruck zu verbergen für den Fall, dass …
„Venice hatte also recht“, erklärte sie gelassen. „Du hast wirklich vor, das Grundstück zu kaufen. Was willst du damit anfangen, Adam? Soll hier
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