Broughton House - Haus der Sehnsucht
entsetzliche Angst davor und muss unbedingt jemanden bei mir haben, der meine Hand hält. Und dafür eignet sich niemand besser als du. Bitte, Fern, komm her!“, schmeichelte sie.
Fern lachte leise. Wenn jemand bestimmt niemanden brauchte, der ihm das Händchen hielt, dann Cressy.
Als hätte die Freundin ihre Gedanken erraten, wurde sie plötzlich ernst. „Ich brauche dich wirklich, Fern. Du bist meine älteste Freundin und kennst mich am besten. Zu dir kann ich aufrichtig sein wie zu keinem anderen Menschen. Ich liebe Graham so, wie ich es nie für möglich gehalten hätte. Trotzdem habe ich schreckliche Angst vor der Ehe. Ist das nicht verrückt?“
Nicht wenn man Cressys Familiengeschichte kennt, dachte Fern.
Cressy war acht Jahre gewesen, als die Mutter ihren Vater verließ, und alt genug, um den Klatsch mitzubekommen, der sich im Dorf verbreitete. Ihre Mutter hatte adelige Verwandte gehabt, allerdings ziemlich entfernte. Eine dieser sehr weit entfernten, längst verstorbenen weiblichen Verwandten war berüchtigt gewesen wegen ihrer zahlreichen Affären und ihrer äußerst verschiedenen Kinder, die sie in die Welt gesetzt hatte, während ihr Mann sich blind stellte.
Das alte Blut käme zum Vorschein, hatten die Leute sich zugeflüstert. Damals hatte Cressy feierlich verkündet, sie würde niemals heiraten, damit sie nicht wie ihre Mutter würde.
Das war mit acht Jahren gewesen. Doch die Erlebnisse der Kindheit konnten selbst das Leben intelligenter Erwachsener beschatten.
„Ich würde wirklich gern kommen, Cressy“, sagte Fern bedauernd. „Aber ich kann nicht. Nick ist gerade erst von einer Dienstreise aus London zurückgekehrt, und es geht ziemlich hektisch bei uns zu.“
„Du meinst, er möchte nicht, dass du zu mir kommst“, widersprach Cressy ihr so unverblümt, dass Fern zusammenzuckte. „Lass nur, ich weiß, dass er mich nicht mag. Wahrscheinlich fürchtet er, mein schlechter Einfluss könnte dich endlich dazu bewegen, aus dem Käfig auszubrechen, in dem er dich hält. Ich wünschte, es wäre so.“
„Cressy …“, wehrte Fern unbehaglich ab.
„Entschuldige, Fern. Aber …“ Sie machte eine kurze Pause. „Bitte, versuch zu kommen. Ich habe wirklich panische Angst und brauche dich.“
„Ich werde es versuchen“, versprach Fern. Doch als sie den Hörer auflegte, war sie ziemlich sicher, dass Cressy ebenso wie sie wusste, dass es nicht klappen würde.
Eine halbe Stunde später wollte sie gerade anfangen zu bügeln. Da läutete es, und Venice stand zu ihrer Überraschung vor der Tür.
Es war ein angenehm warmer Tag, eigentlich zu warm für den Rock und den Pullover, den Fern trug.
Venice hatte dagegen ein eng anliegendes, tief ausgeschnittenes kirschrotes Top mit pfenniggroßen leuchtend gelben Punkten gewählt. Dazu trug sie ebenso enge Leggings. Ihr Haar und ihr Make-up waren makellos wie immer. Ihre Haut war tief gebräunt, und ihre Hände und Fingernägel sahen aus, als wären sie nie mit Hausarbeit in Berührung gekommen.
Fern spürte plötzlich einen Anflug von Neid und Unmut, der ihr bisher völlig fremd gewesen war.
Es hätte weder des verächtlichen Blicks in Venices Katzenaugen noch des selbstgefälligen Lächelns bedurft, das ihren Mund umspielte, damit Fern sich richtig schäbig, ja alt und ausgelaugt vorkam.
„Oh, komme ich zu einer unpassenden Zeit?“, fragte Venice mit einem schiefen Lächeln. „Meine Güte, wie sauber hier alles aussieht. Beinahe steril. Sie müssen mir unbedingt den Namen ihrer Putzfrau verraten. Meine ist auf ihre Weise ja ganz gut, aber …“ Sie zog die Nase kraus und sah sich aufmerksam, beinahe analysierend um.
„Ich habe keine Putzfrau“, erklärte Fern ungerührt und war ziemlich sicher, dass Venice es wusste. Sie merkte, dass sie rot wurde. Der bissige Unterton bei dem Wort „steril“ war ihr nicht entgangen.
„Ich bleibe nicht lange, sondern wollte nur dies hier abgeben.“ Venice öffnete ihre Schultertasche und reichte Fern eine nachlässig zusammengelegte, zerknitterte Krawatte. „Nick hat sie kürzlich bei mir vergessen. Er kam vorbei, damit wir uns über meine Geldanlagen unterhalten konnten. Meine Zentralheizung funktioniert neuerdings nicht richtig, und es war viel zu heiß. Er fragte mich, ob er die Krawatte abnehmen dürfte. Meine Putzfrau hat sie heute Morgen gefunden. Da ich in diese Gegend musste, wollte ich sie gleich vorbeibringen.“
Fern antwortete nicht. Glaubte Venice tatsächlich, dass sie sich täuschen
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