Brown, Dale - Feuerflug
aus aller Welt auf einer eigens errichteten Tribüne, von der aus sie die Eröffnungszeremonie des ersten weltweiten Einheitskongresses der Muslim-Bruderschaft verfolgten. Fernsehteams aus drei Dutzend Staaten sorgten für eine weltweite Live-Übertragung der Zeremonie und der dabei gehaltenen Reden. Die Veranstaltung glich einer Eröffnungsveranstaltung der Olympischen Spiele. Auch die sehr strengen, fast repressiven Sicherheitsmaßnahmen konnten die Volksfeststimmung dieses einmaligen Ereignisses nicht beeinträchtigen.
Die Staatsoberhäupter oder Regierungschefs der Mitgliedsstaaten der Muslim-Bruderschaft – Sudan, Palästina, Algerien, Syrien, Jordanien, Jemen, Somalia, Albanien, Irak und Afghanistan – erschienen unter begeistertem Jubel der Menge auf der Ehrentribüne. Sobald diese Würdenträger begrüßt und zu ihren Plätzen geleitet worden waren, folgten die bevollmächtigten Abgesandten der vorläufigen Mitglieder der MuslimBruderschaft, die den größten Teil der restlichen muslimischen Welt vertraten. Es war unglaublich, wie alte Widersacher und Feinde sich zur Begrüßung umarmten, und jede dieser Szenen riss die Menge zu neuen Begeisterungsstürmen hin.
Zuletzt erschienen die drei bedeutendsten Persönlichkeiten: König Idris II. von Libyen, Präsident der Muslim-Bruderschaft und Gastgeber dieses Kongresses, sowie die Vertreter der beiden wichtigsten vorläufigen Mitgliedsstaaten – Kronprinz Abdallah Ibn Abd al-Aziz al-Sa’ud, stellvertretender Ministerpräsident Saudi-Arabiens und Kommandeur der Nationalgarde, und Susan Bailey Salaam, die neu gewählte Präsidentin Ägyptens. Das Erscheinen des Kronprinzen war zweifach bedeutsam: Es signalisierte eine positivere Einstellung der saudischen Herrscherfamilie gegenüber der Muslim-Bruderschaft und Jadallah Zuwayy persönlich; dass König Fahd jedoch nicht selbst gekommen war, ließ andererseits erkennen, dass die Saudis noch nicht ganz bereit waren, sich der Bruderschaft anzuschließen.
Die Begeisterung, die das Erscheinen des Kronprinzen auslöste, war eher gedämpft im Vergleich zu dem Begeisterungstaumel, mit dem die Präsidentin – manche sagten die »Königin« – von Ägypten begrüßt wurde. Susan Bailey Salaam wurde mit lautem Jubel, ohrenbetäubendem Beifall und Sprechchören empfangen, und als sie mit nach vorn gewandten Handflächen dankend die Arme hob, jubelte ihr das Volk noch lauter zu. Der folgende Auftritt Jadallah Zuwayys, des Gastgebers und Präsidenten der Muslim-Bruderschaft, wurde kaum wahrgenommen: Zuwayy versuchte, sein Erscheinen möglichst lange hinauszuzögern, damit der tosende Beifall für Salaam abklingen konnte, aber er musste schließlich doch seinen Platz einnehmen, weil abzusehen war, dass er schrecklich lange würde warten müssen.
Nach einem kurzen Eröffnungsgebet kamen folkloristische Auftritte von Tanz- und Gesangsgruppen aus den einzelnen Mitgliedsstaaten, bevor alle Abgesandten nacheinander kurze Begrüßungsworte sprachen.
Manche von ihnen waren bessere Redner als andere; manche überschritten die vereinbarte Redezeit von fünf Minuten. Die Menge begann unruhig zu werden. Jeder wusste, warum: Die Massen warteten nur darauf, sie zu hören. Und Jadallah Zuwayy blieb nichts anderes übrig, als das Schlusswort zu sprechen: Als Gastgeber war er verpflichtet, zuerst seine Gäste ans Rednerpult zu lassen. Dagegen war nichts zu machen.
Zuwayy wusste, dass dies ein langer, vergeudeter Tag werden würde, sobald Salaam ans Mikrofon trat und die Menge erkannte, dass sie das Wort ergreifen würde – der Jubel hielt volle fünf Minuten an, bevor sie auch nur ein einziges Wort gesprochen hatte.
Der selbst ernannte König von Libyen wartete ungeduldig darauf, dass der Beifall für Salaam sich legen würde; als zu erkennen war, dass er noch lange anhalten würde, forderte er Juma Mahmud Hijazi, seinen Minister für Arabische Einheit, mit einer Handbewegung auf, für Ruhe zu sorgen – und wurde umso mehr in Verlegenheit gebracht, als die Menge sich nicht im Geringsten um Hijazis beschwörende Aufforderungen kümmerte.
Schließlich musste ein Tontechniker dafür sorgen, dass durch eine Rückkoppelung ein gellend lauter Pfeifton entstand, der durchs Stadion hallte und die begeisterten Massen allmählich zum Schweigen brachte.
Wer im Stadion oder vor dem Fernseher erwartet hatte, Susan Bailey Salaam werde eine ihrer leidenschaftlichen Reden halten, in denen sie Frieden, Wohlstand und Einigkeit unter den muslimischen
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