Brown, Dale - Patrick McLanahan - 09 - Mann gegen Mann
erhob sein Glas. Als der General ihm zuprosten wollte, fügte er rasch hinzu: »Der wegen der ängstlichen, feigen, unfähigen Bonzen in der Armeeführung der Russischen Föderation und im Zentralen Militärausschuss sterben musste.«
Generaloberst Schurbenko, stellvertretender Verteidigungsminister und Generalstabschef der Streitkräfte der Russischen Föderation, setzte sein Glas kurz ab. Er dachte über Kasakows Worte nach, dann zuckte er mit den Schultern und kippte seinen Whiskey.
»Wenigstens haben Sie den Mut, mir nicht zu widersprechen«, sagte Kasakow spöttisch.
»Ihre Worte kränken und verletzen mich, Pawel Gregorjewitsch«, sagte Schurbenko resigniert, während seine Adjutantin ihnen nachschenkte. »Kämen sie von jemand anderem, würde ich ihn ohne Rücksicht auf Dienstgrad oder Titel einsperren oder erschießen lassen.«
»Auch meine Mutter, General?«, fragte Kasakow.
Schurbenko antwortete nicht gleich. Er hatte Übung darin, politischen und militärischen Rivalen zu drohen – aber Kasakow war kein Rivale, er war gewissermaßen ein Vorgesetzter. Auch wenn er nicht den Namen des berühmtesten und beliebtesten russischen Soldaten getragen hätte, wäre er vermutlich der mächtigste Mann Russlands gewesen.
In seiner Jugend hatte Pawel Gregorjewitsch Kasakow nicht mehr als der privilegierte Sohn eines pflichteifrigen, rasch aufsteigenden Offiziers der Roten Armee sein wollen. Dank seiner Eltern war er in die Leningrader Militärakademie aufgenommen worden, hatte aber bald festgestellt, dass er keinen Sinn fürs Militärische hatte, nur für Partys, Rauchen, Trinken und Krawallmachen – je wilder, desto besser. Um einen Skandal zu vermeiden, hatte sein Vater ihn unauffällig ans Polytechnikum Odessa in der Ukrainischen SSR versetzen lassen. An einem Ort, wo er nur einer von vielen verzogenen Söhnen prominenter KPdSU-Mitglieder war, die an der »russischen Riviera« studierten, würde er sich ändern müssen, wenn er seine Zukunft aus eigener Kraft sichern wollte.
Aber das schaffte Pawel nicht. Behaglich leben und nicht zu viel arbeiten – das war sein Stil; er legte es darauf an, sich dem zu verweigern, was andere von ihm erwarteten. Fern von Leningrad und dem wachsamen Blick seines Vaters schlug er wilder über die Stränge als je zuvor. Er experimentierte mit allen nur vorstellbaren Extremsportarten: Eissegeln auf dem Schwarzen Meer, Fallschirmspringen, Tauchen, Freiklettern, Mountainbikefahren … und die Jagd auf die schönsten Frauen, ledig oder verheiratet, der gesamten Krimhalbinsel.
Drogen waren überall erhältlich, und Pawel probierte sie alle aus. Gerüchteweise hieß es, er habe sich einmal im Kokainrausch Kopf- und Barthaar versengt – und rasiere sich heutzutage den Schädel, um sich ständig daran zu erinnern, wie tief er einmal gesunken war. Aber bis dahin war nichts verboten, nichts undenkbar. Er erwarb sich rasch den Ruf, ein Draufgänger zu sein, und sein Ruhm und seine Berühmtheit entwickelten sich in umgekehrtem Verhältnis zu seinem Notendurchschnitt. Eines Tages verschwand Pawel aus der Nachtclub-Szene in Odessa. Die meisten seiner Freunde hielten ihn für tot – ein Opfer einer seiner tollkühnen Extremsportarten, einer Überdosis Drogen oder einer Schießerei mit konkurrierenden Drogenhändlern.
Als Pawel Kasakow einige Jahre später nach Odessa zurückkehrte, war er ein anderer Mann. Sein Schädel war noch immer kahl – er brauchte ihn nicht mehr zu rasieren –, aber alles Übrige war anders. Er nahm keine Drogen mehr und war reich und kultiviert. Er kaufte sich eine der schönsten Villen am Schwarzen Meer, engagierte sich auf kulturellem Gebiet und wurde ein angesehener Finanzier, ein international bekannter Makler und Risikokapitalgeber, lange bevor es in Russland Aktiengesellschaften und Industrielle Investmentgruppen gab. Natürlich rankten sich Gerüchte um ihn: Kasakow wurde nachgesagt, er habe KGB-Offiziere in der Tasche, lasse tonnenweise Drogen in diplomatischem Kuriergepäck transportieren und ermorde Feinde und lästige Konkurrenten mit eiskalter Rücksichtslosigkeit.
Seine größte und dramatischste Akquisition war ein fast bankrotter Öl- und Gaskonzern in Odessa. Wie viele Ölgesellschaften war das Unternehmen nach dem Zerfall der Sowjetunion und dem Rückgang der Rohölpreise ins Trudeln geraten, und Kasakow hatte es nur wenige Wochen vor dem Zusammenbruch erworben. Viele Leute spekulierten, seine Verbindungen zur Drogenszene hätten ihm gezeigt,
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