Brown, Dale - Patrick McLanahan - 09 - Mann gegen Mann
antwortete Thorn.
»Und es hat uns fast zwanzig Jahre Waffenentwicklung und die Möglichkeit gekostet, in Zukunft geheime Einsätze von Dreamland aus zu fliegen«, stellte Martindale fest. »Warum? Um Ihr Gewissen zu beruhigen? Um eine militärische Auseinandersetzung mit den Russen zu vermeiden? Ich glaube, das haben Sie schon mal gehört, Thorn, aber ich wiederhole es für den Fall, dass Sie’s vergessen haben: Die Russen kämpfen gern. Sie streiten gern, sie täuschen gern, sie trumpfen gern herausfordernd auf. Und sie respektieren niemanden, der nicht ebenfalls streitet, kämpft, täuscht oder herausfordernd auftrumpft. Ich weiß bestimmt, dass Ihr Sicherheitsberater Sie über die historisch bedingten Grundsätze des Umgangs mit den Russen aufgeklärt hat.« Aber bevor Thorn antworten konnte, schnalzte Martindale mit den Fingern und fügte hinzu: »Ach, richtig – Sie haben ja keinen Sicherheitsberater! Wie zum Teufel kommt das? Sie haben einen wertvollen Berater und einen wichtigen Teil des Stabes des Weißen Hauses abgeschafft nur um ein paar Bucks einzusparen?«
»Robert Goff ist ein guter Mann.«
»Klar ist er das«, sagte Martindale. »Aber er muss das Verteidigungsministerium leiten und dafür sorgen, dass unser Militär, soweit es noch vorhanden ist, reibungslos funktioniert. Es ist nicht sein Job, die Politik des Weißen Hauses mitzugestalten – sein Job ist es, Ihre Anweisungen auszuführen. Goff hat zu viel Arbeit und zu wenig Personal, und beides muss auf die Dauer unsere militärische Schlagkraft beeinträchtigen.«
»Meine Streitkräftestruktur und mein Beraterteam entsprechen genau den verfassungsmäßigen Vorgaben – nicht mehr und nicht weniger.«
»Das wäre wahr, wenn Sie im achtzehnten Jahrhundert lebten«, stellte Martindale fest. »Tatsächlich befinden Sie sich jedoch im einundzwanzigsten Jahrhundert – vielleicht nicht mental, aber zumindest körperlich. Sie verringern den Stab des Weißen Hauses und verlagern mehr Aufgaben ins Pentagon, was dort zu Arbeitsüberlastung führt, bis letzten Endes niemand mehr richtig durchblickt. Alles nur, weil Thomas Jefferson keinen Sicherheitsberater hatte. Nun, hätte er mal über die Vorteile nachgedacht, hätte er sich bestimmt einen zugelegt. Nehmen Sie endlich Vernunft an, Thorn!«
»Zum Glück brauche ich meine Haushalts- oder Personalpolitik Ihnen nicht zu erläutern oder gar vor Ihnen zu rechtfertigen.«
»Ich bin Bürger der Vereinigten Staaten, Steuerzahler und Wähler, nicht bloß Ihr Vorgänger«, sagte Martindale streng. »Dieses ganze Zeug müssen Sie mir sehr wohl erklären.«
»Gut, vielleicht später«, wehrte Thorn irritiert ab. »Im Augenblick möchte ich eine Frage beantwortet haben: Warum?«
»Warum was?«
»Warum hatten Sie solche Angst davor, das Militär einzusetzen?«
»Ich hatte vor überhaupt nichts Angst, Thorn.«
»Warum haben Sie dann nicht öfter das Militär eingesetzt? Überall gibt es Konflikte, Kernwaffen schwirren herum, Frieden und Sicherheit sind fast alljährlich bedroht – und trotzdem haben Sie nie massive Truppenverlagerungen befohlen, nie Reserveeinheiten oder die Nationalgarde alarmiert. Sie haben ein paar Flugzeugträger zusammengezogen, ein paar Bomber als Kernwaffenträger reaktivieren lassen, aber Sie haben nie versucht, das Land auf die Möglichkeit eines allgemeinen Krieges vorzubereiten, obwohl Sie dazu eindeutig berechtigt waren – obwohl alle das von Ihnen erwartet haben. Warum?«
»Das können Sie in meinen Memoiren nachlesen«, knurrte Martindale.
Thomas Thorn hob die Hände, als ergebe er sich. »Mr. President … Kevin«, sagte er. »Ich wüsste es wirklich gern.«
»Wozu? Weil Sie fürchten, Ihre abgehobene, selbstgerechte Philosophie der Abkoppelung vom Weltgeschehen und des Isolationismus könnte vielleicht doch nicht funktionieren?«, gab Martindale noch aufgebrachter als zuvor zurück. »Weil Sie nach einem Jahr, in dem Sie mir in Ihrem Wahlkampf meine Unfähigkeit bei der Bewältigung internationaler Krisen vorgeworfen haben, allmählich entdecken, dass es vielleicht doch nicht so einfach ist, nichts zu tun?«
Aber Thorn ließ sich nicht zu einer hitzigen Antwort provozieren. »Weil ich’s wissen muss, Kevin«, sagte er eindringlich. »Ich weiß, dass Sie nicht einfach nichts getan haben. Aber warum haben Sie getan, was Sie getan haben? Warum haben Sie nicht einfach die gewaltige Macht, über die wir verfügen, zur Bewältigung dieser Krisen eingesetzt?«
Martindale
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