Brown, Sandra - Ein skandalöses Angebot
ausweichend. Was hatte ihn das
überhaupt zu interessieren? Dank seiner Leibesfülle beanspruchte er fast das ganze Sofa, und sie quetschte sich hilflos
in eine Ecke, um jeden Körperkontakt zu vermeiden. Sie
lenkte die Unterhaltung rigoros von ihrer Person ab.
»In welcher Branche sind Sie tätig, Mr. Vandiver?« Hatten
Olivia und Carson nicht irgendwann abends den Namen
Vandiver erwähnt? Sie konnte sich bloß nicht mehr an den
genauen Wortlaut des Gesprächs erinnern.
»Im Investmentgeschäft.« Als sie ihn groß ansah, lachte er
milde. »Alle Arten von Investitionen - Eisenbahnbau,
Holzwirtschaft, Vieh und so weiter. Derzeit engagieren wir
uns für die Stromversorgung der kleineren Orte.«
»Verstehe«, murmelte Lauren, was glatt geschwindelt war.
Carson gab eine, wie er meinte, witzige Begebenheit zum
Besten. Aus den Augenwinkeln beobachtete Lauren, wie Jared aufstand, zu der Anrichte schlenderte und sein Glas erneut mit Whiskey füllte. Abrupt bat Olivia die Gäste zu
Tisch. Für Laurens Ohren klang es wie ein Befehl.
Sie bemerkte, wie Olivias Augen sich in die ihres Sohnes
bohrten. Als wollte er sie absichtlich provozieren, schüttete
er den Whiskey in einem Zug hinunter und schenkte sich
ein frisches Glas nach, das er mitsamt Karaffe ins Esszimmer trug. Die Gäste gingen über den kleinen Zwischenfall
geflissentlich hinweg. Die Vandivers, die herzlich über Carsons angestaubte Geschichten lachten, strebten in den Speiseraum.
Olivia und Carson saßen zu beiden Enden der Tafel, Lauren und Kurt auf der einen, Jared und Parker auf der anderen Längsseite. Der junge Lockett saß Lauren gegenüber.
Er musterte sie unbewegt, mit verdrossener Miene.
Während Rosa ihnen in einer gestärkten, blütenweißen
Dienstbotenuniform das Essen servierte, inspizierte Lauren
heimlich die beiden Vandivers. Parker hatte scharf geschnittene, fast brutal anmutende Züge und stechend blaue Augen, die ruhelos durch den Raum irrten, als wähnte er sich
heimlich bedroht. Er ging mit einer höflich-gewinnenden
Art auf Leute zu, allerdings mutmaßte Lauren, dass er einzig an gewinnbringenden Fakten interessiert war, alles andere war ihm gleichgültig. Seine Leibesfülle war beachtlich.
Dicke Patschehände mit schweinchenrosa Wurstfingern
ruhten gefaltet vor seinem gewaltigen Bauch, wenn er nicht
gerade mit ihnen gestikulierte. Diese entspannte Haltung
kontrastierte mit seinen flinken Augen.
Kurt war zwar größer, aber nicht minder korpulent. Seine
Augen strahlten eine ähnliche Aggressivität aus, allerdings
nahmen die beiden Wangengrübchen seinem Gesicht die
provokante Schärfe. Kurz geschorenes, widerspenstiges
Blondhaar umschmiegte wie ein goldener Helm seinen
Kopf. Seine hellen Augenbrauen wirkten fast weiß gegen
den fleischig-rosigen Teint.
Obwohl die Vandivers ihr gegenüber perfekte Manieren
zeigten, war Lauren intuitiv skeptisch. Ihre Etikette wirkte
überzogen, ihre Gesprächsführung zu dominant, ihr ganzes
Verhalten aufgesetzt. Als sie Kurts Blick auffing, schauderte
es sie unwillkürlich. Seine begehrliche Miene erinnerte sie
irgendwie an William Keller.
Jared war einsilbig, er aß wenig und trank zu viel. Lauren
fühlte sich unbehaglich in seiner Gegenwart, zumal er sie
nicht aus den Augen ließ. Mochte das Diner für Lauren eine
Tortur sein, für Jared war es unerträglich. Er hasste die
Vandivers und ihre Raffgier, die sie mit eloquentem Geplauder und höflichen Manieren zu kaschieren suchten. Jared verabscheute jegliche Art von Intrige und Berechnung.
Und diese Puppe vis-àvis von mir ist Expertin darin, vermutete er zynisch.
Er versuchte, Lauren wie Luft zu behandeln, was ihm jedoch nicht gelang. Sie zog ihn unwiderstehlich an. Er hatte
sich das Mädchen erheblich anders vorgestellt, räumte er im
Stillen ein. Ganz anders. Und er hasste Überraschungen.
Deshalb hatte er an jenem schicksalsschweren Abend mit
seinem Vater gestritten.
Nein, ich will nicht mehr daran denken, redete er sich ein.
Fasziniert beobachtete er ihre Hände, die geschickt mit
dem Besteck hantierten. Sie hatte lange, schlanke Finger
und sorgfältig manikürte Nägel. Was hatte er erwartet?
Knallroten Nagellack?
Was hatte Ben gesagt? Ach ja. Sie sei Pianistin. Jared
schmunzelte, denn er wusste sich diese schönen Hände
durchaus bei einer angenehmeren Tätigkeit vorzustellen.
Ob die Kleine von solchen Dingen Ahnung hatte? Vermutlich nicht. Sonst hätte sie am Nachmittag bestimmt nicht so
zimperlich getan.
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