Brown Sandra
Knochen brechen kann.«
Da gab sie ihm ohne Einschränkung recht. Jade hatte Dillon mehr als einmal von ihrem Fenster im Bürocontainer aus heimlich bei der Arbeit beobachtet. Er ging mit festen, großen Schritten über den Platz und überwachte die Ausschachtung. Selbst auf größere Entfernung konnte sie ihn unter den anderen Arbeitern erkennen, denn er trug stets einen weißen Helm, seine verspiegelte Sonnenbrille … und natürlich den Schnauzer.
»… wenn ich darf. Darf ich?«
»Entschuldige, Graham. Was hast du gesagt?«
Er rollte mit den Augen, wie es alle Teenager tun, wenn ihre Eltern mal wieder nichts kapieren. »Ob ich mit dem Fahrrad raus zum Gelände fahren darf. Ich kenne den Weg schon.«
»Aber das sind mehrere Meilen.«
»Bitte, Mom.«
»Hört sich an, als würden hier wichtige Entscheidungen diskutiert«, sagte Cathy. Sie kam mit einem Tablett voller Getränke und Kekse aus der Küche. Für Graham gab es ein Glas Milch, Kaffee für sie und Jade. »Da tut eine Stärkung immer gut.«
Cathy war das Kunststück gelungen, in der kurzen Zeit, die sie hier war, das Haus in ein Zuhause zu verwandeln. Jade war erst in den sechs Wochen ihrer Trennung wirklich bewußt geworden, wie aktiv Cathy war. Sie erledigte sämtliche Besorgungen, kochte und führte das Haus. Sie liebte ihre Aufgabe. Für Cathy war das Leben sinnlos, wenn sie nichts hatte, um das sie sich kümmern konnte.
Sie stellte das Tablett ab und setzte sich zu Jade aufs Sofa.
»Und um was geht es heute abend, wenn ich fragen darf?«
Graham knabberte einen noch ofenwarmen Schokoladenkeks und erklärte mit vollem Mund: »Mr. Burke hat gesagt, ich darf jederzeit rauskommen. Warum stellst du dich so an, Mom?«
»Erstens ist es zu weit, um mit dem Fahrrad zu fahren. Zweitens ist das Gelände kein Spielplatz. Du könntest den Arbeitern im Weg stehen oder dich verletzen. Und drittens finde ich, daß du dir lieber Spielkameraden in deinem Alter suchen solltest.«
»Ich hab’ ja schon ein paar Jungs aus der Nachbarschaft kennengelernt.«
Jade hoffte, daß er den Sommer über Freundschaften schließen würde, damit er es zum Schulbeginn im Herbst nicht so schwer hatte. Sie hielt es für wesentlich gesünder, wenn er seine Freizeit mit Gleichaltrigen verbrachte, anstatt sich an ihren Bauleiter zu hängen.
»Mr. Burke hat Besseres zu tun, als dich zu unterhalten.«
»Aber er hat es mir erlaubt, Mom. Du verdirbst mir jeden Spaß«, maulte er.
Cathy, die geborene Diplomatin, sagte: »Vielleicht könnten wir Mr. Burke bald mal zum Essen einladen.«
»Oh, ja, das wäre prima«, jubelte Graham. Jetzt lächelte er wieder.
»Ich weiß nicht«, sagte Jade eilig.
»Warum nicht, Mom?«
»Er sitzt abends bestimmt immer allein beim Essen in seinem Trailer«, taktierte Cathy. »Ich glaube, er würde sich über eine richtige Mahlzeit freuen.«
»Und ich finde, wir sollten es respektieren, wenn er so zurückgezogen leben will.«
Es war eine schwache Ausrede, sie sah es an ihren Mienen. Aber sie wußte es auch selbst. Der wahre Grund für ihr Zögern war, daß sie ohnehin schon sehr viel Zeit mit Dillon verbrachte. Er hatte sich als derart kompetent erwiesen, daß sie ihn bei anstehenden Entscheidungen fast immer nach seiner Meinung fragte. Sie verkehrten freundlich, aber strikt professionell miteinander, und genau dabei wollte sie es gern belassen.
»Du hast noch immer nicht gesagt, ob ich mit dem Fahrrad rausfahren darf«, erinnerte Graham. »Bitte, Mom. Palmetto ist nicht New York. Was soll hier schon Schlimmes passieren?«
Mit zitternder Hand stellte Jade die Tasse auf den Unterteller.
Cathy beeilte sich zu vermitteln. »Laß sie ein, zwei Tage drüber nachdenken, Graham. Wie ich sehe, hast du die Kekse erfolgreich vernichtet. Komm, hilf mir beim Abräumen, bring schon mal das Tablett in die Küche. Ich komme gleich nach.«
Graham erhob sich widerwillig und trug das Tablett hinaus. Als er außer Hörweite war, nahm Cathy Jades Hände, die sie zwischen die Knie gepreßt hatte, in ihre. »Jade, er weiß es nicht besser. Für ihn ist es hier so.«
»Ich weiß. Bis ich vergewaltigt wurde. Hätte ich auch nie geglaubt, daß so etwas in Palmetto passieren könnte.«
Cathy wählte ihre nächsten Worte sehr sorgsam. »Ich weiß, du wolltest nie, daß Graham erfährt, unter welchen Umständen er gezeugt wurde.«
»Das will ich auch jetzt noch nicht.«
»Und was ist, wenn er es von jemand anderem erfährt?« fragte Cathy besorgt. »Was ist, wenn jemand ihn ganz direkt fragt, wer
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