Brown Sandra
will zu Gary.«
»Warum rufst du ihn nicht an?«
»Ich will’s ihm persönlich sagen. Fährst du mich hin? Ach, bitte, Donna Dee…«
»Vielleicht weiß er’s ja schon«, sagte ihre Freundin. »Der Dekan hat euch bestimmt benachrichtigen lassen. Wahrscheinlich wartet zu Hause schon ein Brief auf dich.«
»Stimmt. Aber die Parkers liegen auf der Landroute und kriegen die Post manchmal später. Abgesehen davon, ich muß Gary einfach sehen. Heute. Jetzt. Bitte, Donna Dee.«
»Okay. Aber was ist mit deiner Mom? Holt sie dich nicht ab?«
»Mr. Jones kann ihr doch sagen, wo ich bin.«
»Sie wird schäumen, wenn sie es erst nach Gary erfährt.«
»Soll sie doch. Gary muß es als erster wissen.«
Der alte Mr. Jones wußte nicht, was er davon halten sollte, als Jade ihm ein paar Minuten später mit ausgestreckten Armen entgegengelaufen kam. Sie umarmte ihn und küßte seine faltigen Wangen.
»Mr. Jones, es ist was ganz Wichtiges passiert. Ich weiß, es ist noch nicht sechs– aber darf ich schon gehen? Ich arbeite die Zeit ein anderes Mal nach. Bitte…« Die Worte sprudelten nur so aus ihrem Mund.
»Nun, da du offensichtlich gleich platzt– in Ordnung.«
»Danke! Ich danke Ihnen!«
Sie küßte ihn nochmals und lief dann ins Hinterzimmer, um ihre Bücher, den Mantel und die Handtasche zu holen. Vor Aufregung spürte sie die Kälte nicht. Sie hielt den Mantel einfach vor der Brust zusammen, hob das Chemiebuch auf und stürmte zur Tür. Donna Dee hatte sich für einen Moment von einer neuen Kollektion matten Lidschattens ablenken lassen, und Jade mußte sie zur Tür zerren.
»Bis morgen dann, Mr. Jones. Würden Sie bitte meiner Mutter ausrichten, daß ich mit Donna Dee weg bin und in einer Stunde nach Hause komme? Ach, und daß ich eine gute Nachricht habe?«
»Wird gemacht.«
»Danke noch mal. Bye-bye.«
»Paßt auf euch auf, Mädchen, hört ihr?«
Jade und ihre Freundin stolperten hastig aus dem Laden und auf die Straße, wo Donna Dees Wagen stand. Jade warf ihren Kram auf die Rückbank, während Donna Dee sich hinters Steuer setzte. Nach ein paar Minuten hatten sie die wenigen Ampeln der Stadt bereits hinter sich und brausten den zweispurigen Highway entlang. Es war ein trüber, dunstiger Nachmittag, sie ließen die Scheiben oben und stellten das Radio auf volle Lautstärke.
Je weiter sie sich vom Stadtgebiet entfernten, desto trostloser wurde die Landschaft. Sie kamen an Bruchbuden vorbei, die derart verfallen waren, daß sie der Bezeichnung »Haus« kaum mehr gerecht wurden. Die Dächer und Veranden eingesunken, die Fenster mit Papier verkleidet, die Zaungatter aus den Angeln gehoben. Autowracks und Traktoren rosteten auf den Vorhöfen und dienten dem dürren Federvieh als Behausung. Und so blieb es den ganzen Weg bis zur Atlantikküste.
Die isolierten Gemeinden hier paßten nicht ins zwanzigste Jahrhundert. Armut war allgegenwärtig. Nicht selten fehlte es an Wasserleitungen. Zwischen den Inseln und der Küste lagen Brackwassergebiete, eine ideale Brutstätte für Insekten, die Krankheitserreger übertrugen und der ohnehin schon benachteiligten Bevölkerung enorm zusetzten. Mangelhafte Ernährung und katastrophale hygienische Zustände führten zu Krankheiten, die es in den meisten westlichen Ländern schon längst nicht mehr gab.
Jade fand das wirtschaftliche Klima in dieser Gegend beklemmend. Kein Wunder, daß Gary angesichts der hier herrschenden sozialen Ungerechtigkeit oft den Mut verlor. An normalen Maßstäben gemessen waren die Parkers arm, doch verglichen mit denen, die hier hausen mußten, lebten sie noch wie die Könige.
Die Industrie, die in Piedmont, dem nordwestlichen Teil South Carolinas, florierte, bekam im Flachland noch immer keinen Fuß auf die Erde. Der Tourismus stellte entlang der Küste die Haupteinnahmequelle dar, und oft widersetzten sich die Bürgermeister einer geplanten Industrieansiedlung aus Angst, die damit verbundene Umweltbelastung könnte ihrem Tummelplatz für die Reichen schaden. Und deshalb mußten sich Farmer wie Otis Parker auf abgewirtschafteten Feldern abmühen, die ständig von der Flut überspült wurden, und deshalb konnten auch Despoten wie Ivan Patchett regieren, die davon lebten, allen anderen das Blut auszusaugen.
Dem mußte ein Ende gemacht werden. Vielleicht waren Gary und sie die Vorläufer der ersten Generation für einen neuen Süden, die Pioniere von…
»Oh, Mist!«
Donna Dee riß Jade aus ihrem Tagtraum.
»Was ist los?«
»Kein Benzin mehr.«
»Was?« Ungläubig
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