Brown Sandra
stehst du wieder auf der Matte!«
Kurz nachdem Hutch rausgestürmt war, zog sich Lamar auf sein Zimmer zurück und ließ Neal mit seiner Wut allein. Neal rastete nur selten aus, aber wenn es soweit war, machte er ihm angst. Lamar konnte nicht sagen, wovor er sich mehr fürchtete– vor Neals Wutanfällen oder seinem unheimlichen Schweigen. Wenn Neal still wurde, schwelte in ihm der Zorn wie Schwefel in den Tiefen des Hades. Man konnte seine Rage dann förmlich riechen.
Lamar haßte es, in diesem Haus zu wohnen, aber er hatte nicht den Mut, es Neal zu sagen und auszuziehen. Er wünschte, seine Mutter hätte darauf bestanden, daß er auf eine andere Universität ging, oder daß er noch ein Jahr zu Hause bleiben sollte. Er wünschte, etwas – irgend etwas – geschähe, das ihn davor bewahrte, noch ein weiteres Jahr unter Neals Knute zu stehen.
Aber nichts geschah, und er brachte einfach nicht den Mut auf, Neal zu sagen, daß er lieber woanders wohnen würde. Widerwillig hatte er seine Sachen aus Palmetto in das Haus geschafft, das sie für das zweite Unijahr gemietet hatten. In seinem Zimmer warteten Koffer und Kisten darauf, ausgepackt zu werden. Lustlos legte sich Lamar aufs Bett und bedeckte die Augen mit dem Arm. Jetzt, da Hutch gegangen war, hatte er noch weniger Hoffnung, Neal jemals entkommen zu können. Er wagte nicht, sich auszumalen, wie Neal reagieren würde, wenn er ihm sagte, daß er ausziehen wollte. Und so saß er allem Anschein nach in der Falle.
Es war wie eine niemals endende Party. Neal war von Leuten umgeben, die behaupteten, ihn zu mögen. Lamar vermutete allerdings, daß sie weniger Neal als vielmehr das mochten, was er ihnen bot. Und er vermutete, daß nicht wenigen von ihnen einfach der Mut fehlte, Neals Einladung auszuschlagen. Zu sehr waren sie von ihm eingeschüchtert.
Die Tür ihres Hauses stand Fremden, die hungrig nach Sex, Drogen und Alkohol waren, ständig weit offen. Der endlose Strom von Studenten auf der Suche nach einem Abenteuer ließ Lamar wenig Privatsphäre. Selbst wenn er sich auf sein Zimmer zurückzog und die Tür hinter sich schloß, blieb er nicht ungestört. Irgendjemand stolperte immer herein, auf der Suche nach dem Badezimmer oder einem leeren Bett zum Bumsen. Allein der Gedanke an neun weitere Monate voller wilder Ausschweifungen machte ihn müde. Neal war eifersüchtig auf alles, was seine tyrannische Herrschaft über seine Freunde in Frage stellte. Er verlangte absolute Loyalität und permanente Verfügbarkeit. Darum war er Hutch heute so an die Kehle gegangen. Neal war eifersüchtig auf Donna Dee, die nun den Großteil von Hutchs Zeit in Anspruch nahm.
Neal hatte sein schwerstes Kaliber aufgefahren, als er die Sache mit Jade erwähnte. Bis jetzt hatten sie sich immer bemüht, den Zwischenfall zu leugnen. Selbst als Gary Parker sich erhängt hatte und Jade mit ihrer Mutter aus Palmetto fortgezogen war, hatten sie sich geweigert, diese Ereignisse mit den Geschehnissen am Kanal in Verbindung zu bringen. Doch so sehr sie auch darauf bedacht waren, nicht darüber zu sprechen, irgendwie kam das Thema immer wieder an die Oberfläche. Wenn er genau darüber nachdachte, war immer Neal derjenige, der es anschnitt.
Verhielt sich Neal vielleicht genauso berechnend, wie er es vorhin noch Donna Dee vorgeworfen hatte? Er berührte diesen wunden Punkt immer, wenn er etwas von ihnen wollte. Und seine Erwähnungen führten dazu, daß sie ihm weiterhin gehorchten. Wie lange noch? fragte sich Lamar. Mein ganzes Leben lang? Dieser Gedanke jagte ihm einen Schauer über den Rücken. Das letzte, was er wollte, war, das Opfer von Neals Spott zu werden. Bitte, Gott, laß ihn nicht herausfinden, daß ich verliebt bin, betete er im stillen.
Nicht nur die Aussicht, weitere zwei Jahre mit Neal Patchett zusammenzuwohnen, hatte ihn trübselig werden lassen, sondern auch die Tatsache, daß er seine neue Liebe in Palmetto zurücklassen mußte. Sie hatten sich im Kino kennengelernt. Ihr erstes Rendezvous war wenig romantisch verlaufen. Nach dem Film waren sie zusammen Kaffee trinken gegangen, hatten aber bis spät in die Nacht geredet. Den Rest des Sommers über hatten sie sich fast jeden Abend getroffen.
Eines Abends, als sie an der Küste entlangfuhren, hatte Lamar unsicher zugegeben: »Du kannst leider nicht mit zu mir kommen. Ich wohne mit meiner Mutter zusammen.«
»Ich würde auch gerne mit dir allein sein.«
Sie verabredeten ein heimliches Treffen in einem Motel. Und dort, Jades Vergewaltigung
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