Bruce: Die Springsteen-Biografie (German Edition)
Flugzeug setzen, und schon stand eine Stewardess neben ihm. Und das, obwohl er nichts Besonderes getan hatte. Er war einfach nur lieb und freundlich und hatte eine sehr angenehme Stimme.« Bruce erzählte Nick Dawidoff einmal von einer Begegnung mit seinem Vater Ende der 80er-Jahre. Doug winkte ihn im Backstagebereich zu sich und bat ihn, sich auf seinen Schoß zu setzen. Völlig verblüfft stammelte Bruce: »Wirklich?« Doug nickte. Also ließ Bruce sich nieder – ja mehr noch, er ließ sich mit all der Last des jahrelang angestauten Schmerzes, der Wut und der Meinungsverschiedenheiten geradezu in seinen Schoß fallen. Es dürfte für keinen von beiden angenehm gewesen sein, weder körperlich, noch emotional. Diese Unbeholfenheit verrät auf ganz eigene Weise viel über die Geschichte, die den alternden Vater mit seinem erwachsenen Sohn verbindet. Sie wussten immer noch nicht, wie sie die Liebe, die sie füreinander empfanden, zum Ausdruck bringen sollten. Diese Szene wirkte schon sehr befremdlich, und doch saßen Vater und Sohn eine ganze Weile so da.
Als Bruce wenige Jahre später seinen eigenen Sohn auf dem Schoß hielt, fiel Patti auf, dass er nicht ein einziges Wort aus dem Buch vorlas, das er in Händen hielt. Bruce hielt es lediglich hoch, damit er und Evan die Bilder darin gut sehen konnten. Nach ein, zwei Minuten der Stille blätterte er um, und die beiden betrachteten das nächste Bild.
»Du liest ihm ja gar nicht vor!«, sagte Patti verdutzt. Bruce zuckte nur die Achseln. »So lesen wir Springsteen-Männer halt«, entgegnete er, und der kleine Junge strahlte glücklich. »Evan war begeistert«, sagt Lazar. »Sie hatten eine nonverbale Form der Kommunikation gefunden, das war sehr ergreifend.«
Etwa ein Monat, nachdem er den E Streetern seine Entscheidung mitgeteilt hatte, rief Bruce seinen ehemaligen Keyboarder Roy Bittan an und lud ihn zum Essen ein. Bittan war wenige Monate zuvor nach L.A. gezogen, sodass es ihm keine Umstände bereitete, sich mit ihm zu treffen. Ein, zwei Monate lang hatte Bruce nichts mehr geschrieben, und nun suchte er nach Inspirationen. Als sie nach dem Essen zu Bittan fuhren, unterhielten sie sich über Homerecording und das mit mehreren Synthesizern ausgestattete Studio, das sich Bittan in seiner Garage eingerichtet hatte. Bruce wollte sich das Studio unbedingt anschauen und ein paar Tracks hören, die der Tastenvirtuose dort aufgenommen hatte. »Ich nahm ihn mit in mein Garagenstudio, warf alle Geräte an und spielte ihm mein Demo von ›Roll of the Dice‹ vor«, erinnert sich Bittan. »Er schien ziemlich beeindruckt.«
Zunächst staunte Bruce über die große Auswahl an Sounds, die Bittan mit seinen Synthesizern erzeugen konnte. Fast jedes Instrument konnte er damit simulieren, und zwar so gut, dass man kaum glauben konnte, dass diese Klänge nicht von einem echten Instrument stammten. Bittan sagt, dass ihm eine Nummer à la Bruce vorschwebte, als er »Roll of the Dice« schrieb. »Es war ein echter E-Street-Band-Song. Er hatte den passenden Riff und andere typische Elemente. Das Glockenspiel, das Tamburin, einfach alles.« Bruce hatte Feuer gefangen, er wollte noch mehr hören, und so spielte ihm Bittan zwei oder drei weitere Backing Tracks vor. Der Keyboarder hatte noch keine Melodie oder Texte dazu geschrieben, aber das Grundgerüst, die wichtigen Riffs und der Aufbau standen. Bruce war begeistert. »Nimm mir mal eine Kassette auf«, bat er Bittan.
Am nächsten Morgen um 9:30 Uhr klingelte Bittans Telefon. Am anderen Ende bellte eine vertraute Stimme »Hit!« in den Hörer. Bittan war schnell klar, dass er Bruce am Apparat hatte, aber er begriff nicht, was er sagen wollte. »Ich habe letzte Nacht einen Hit geschrieben«, verkündete Bruce. Bittan lachte und sagte: »Ah, prima.« Bruce erklärte ihm, dass er die ganze Nacht Texte und Melodien zu den Instrumentalnummern geschrieben habe, die er ihm zwölf Stunden zuvor aufgenommen hatte. Er solle sofort vorbeikommen und sich anhören, was dabei herausgekommen sei. Das ließ sich Bittan nicht zweimal sagen. Bei Bruce angekommen, ließ dieser sofort die Kassette laufen und sang zu Bittans Backing Tracks die Texte, die er geschrieben hatte. »Ich dachte nur: ›Mein Gott, das ist fantastisch‹«, sagt Bittan.
Bruce dachte dasselbe. Bittans Songs hatten ihm nach seiner kreativen Pause auf die Sprünge geholfen. Bittan, den Bruce nicht umsonst »Professor« nennt, hatte sich ausgiebig mit der neuen digitalen
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