Bruce: Die Springsteen-Biografie (German Edition)
weitere Auftritte gebucht, darunter auch ein paar Highschool-Shows, für die diejenigen, die inzwischen nach Richmond gezogen waren, Mitte März wieder nach New Jersey zurückkehrten – gerade zu der Zeit, als Tinker Wests Aufnahmestudio, das er auf dem Speicher seiner neuen Challenger-Fabrik eingerichtet hatte, so gut wie fertig war. Um ihm bei der Einmessung und Feinabstimmung der neuen Geräte zu helfen, kam die Band ins Studio, baute ihr Equipment auf und spielte einige ihrer aktuellen Songs. Derweil ließ West ein Band mitlaufen, checkte die Pegel und hantierte an allen möglichen Reglern und Schaltern herum.
Auf diese Weise wurde ein halbes Dutzend Songs aufgenommen, die zum damaligen Repertoire der Band gehörten: vier Springsteen-Titel, eine Coverversion von Bob Dylans »It’s All Over Now, Baby Blue« und eine ziemlich temperamentvolle Interpretation der nicht ganz so bekannten R&B-Nummer »I’ve Got to Have You, Baby« von Jimmy Jones. Am interessantesten sind die Springsteen-Titel. Da sind zunächst die rockige Wild-West-Nummer »Ballad of Jesse James«, auch bekannt unter dem Titel »Don’t You Want to Be an Outlaw«, und das langsamere, vom Piano getragene »Look Toward the Land«. Das fast siebzehnminütige »When You Dance« offenbart das große Improvisationsvermögen der Musiker im Stil der Allman Brothers oder der Grateful Dead, während ein Instrumental namens »Funk Song«, bei dem der Bassist Garry Tallent (auch bekannt als »Funk«, »Funky« oder »Funky White Boy«) an entscheidenden Stellen ein »Right on!« einwirft, beweist, dass auch schnellere R&B-Nummern zu ihren Stärken zählten.
In den mitgeschnittenen Gesprächen zwischen den einzelnen Songs geht es in erster Linie um Mikrofonlautstärken und Rückkopplungen, aber es wird auch eine Menge gefoppt und gestichelt. Sowohl Bruce als auch Lopez nennen Tinker West »Stinky«. Van Zandt zieht Bruce wegen seines Rumgeklimpers auf der Gitarre auf: »Brucie stimmt sich ein, Take dreiunddreißig.« Als ein Mikro plötzlich eine laute Rückkopplung verursacht, predigt Bruce lautstark die Abkehr von elektronisch verstärkten Instrumenten: »Ich sage euch, was soll der ganze Elektrokram, Jungs, spielt akustisch. Lasst euch nicht von diesen elektronischen Spielereien verführen, Jungs … Ich sage euch, kehrt zurück zu den Wurzeln. Doch darauf scheinen sie ganz ungeniert zu furzeln.«
Am 17 . März gab die Bruce Springsteen Band ein letztes Konzert in Richmond. Tags darauf stand sie bei einem College-Gig in Hampden-Sydney, Virginia, auf der Bühne. Danach war ein Monat Pause, bevor die Gruppe Mitte April im Studentenwerk des Rutgers College auftrat. Erst Ende Juni kamen die Musiker wieder zu einem Gig bei einer Privatveranstaltung in einer Lagerhalle in Point Pleasant, New Jersey, zusammen. Danach gab es in ihrem Terminkalender keine Eintragungen mehr. »Mit einem Mal tat sich nichts mehr«, erklärt Tallent. »Und ich hatte die ganze Sache so gut wie abgeschrieben.«
Da die Zukunft der Band ungewiss war, gingen die fünf Musiker den Sommer über ihrer eigenen Wege. Lopez blieb an der Küste und arbeitete in einer Bootswerft in Point Pleasant, während Van Zandt, Garry Tallent und David Sancious nach Richmond zurückkehrten. Hier gründete Van Zandt mit John Lyon ein Country-Blues-Duo namens Southside Johnny and the Kid, das jeden Clubgig spielte, den es kriegen konnte. Sancious fand einen Job im neu eröffneten Alpha Recording Corp. Studio, während der frisch verheiratete Tallent eine Stelle in einem Musikgeschäft in Richmond annahm und darüber nachdachte, auf der anderen Seite der Stadt einen eigenen Laden zu eröffnen. Sancious hatte ein paar Jazzfusion-Nummern geschrieben, und als bei Alpha ein Studio leer stand, in dem man arbeiten konnte, schnappte er sich Tallent sowie einen Jazzrock-Drummer namens Ernest »Boom« Carter, und die drei wurden ein Sessiontrio.
In New York, insbesondere in den Büros von Columbia Records und der gerade gegründeten Managementfirma Laurel Canyon Ltd., wurde derweil mit einem gehörigen Maß an Leidenschaft und Selbstüberschätzung eine Kette von Ereignissen in Gang gesetzt, die letzten Endes von so entscheidender Bedeutung werden sollten, dass es kaum überraschen kann, dass im Rückblick jeder der Beteiligten seine eigene Sicht auf die Dinge hat. Insbesondere seit dem Moment als es darum ging, Verdienst und Versagen jedes einzelnen auseinanderzudividieren. Und das alles nur für diesen hageren
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