Bruce: Die Springsteen-Biografie (German Edition)
der Öffentlichkeit aufsetzte, ablegen und ein zärtlicher, zuweilen auch aufbrausender, verletzlicher junger Mann sein. »Wir haben beide viel körperliche Nähe gesucht«, sagt Lozito. »Es passte perfekt, ich war 1,68 groß und er 1,80. Er konnte nachts nicht so gut schlafen, daher blieb ich mit ihm auf und wir guckten Fernsehen, während er dieses ganze Junkfood in sich hineinstopfte: Cola, Kuchen, all dieses Zeug. Wir waren uns ähnlich, wir waren beide launenhaft und temperamentvoll. Aber er war auch ein wenig kontrollsüchtig und ein bisschen paranoid, wenn es um Leute ging, die nicht zu unserem direkten Freundeskreis gehörten. Ich durfte meinen Freunden nie sagen, wo wir wohnten, und wenn ich sie treffen wollte, musste ich das woanders tun.«
Allerdings durfte man auch Lozito nicht unterschätzen, das lernte Bruce immer wieder aufs Neue, wenn es bei ihnen zu hitzigen Diskussionen kam. »Diane war eine sehr temperamentvolle Italienerin; gegen die kommt man immer schwer an«, sagt Albee Tellone. »Ich habe gehört, dass es zwischen den beiden richtig zur Sache gegangen sein soll. Dass sie auf ihn losging und er sich gegen sie zur Wehr setzen musste.« Clarence Clemons, der regelmäßig bei ihnen ein- und ausging, erinnert sich an solche Vorkommnisse. »Diane war ein totaler Hitzkopf! Sie ließ sich nichts von ihm gefallen, aber sie liebte ihn und blieb bei ihm. Sie waren unglaublich verliebt ineinander, wie zwei Kinder. Und es war aufregend, mit ihnen zusammen zu sein. Immer.« Bruce für seinen Teil lächelt und schüttelt den Kopf. »Oh ja«, sagt er, »sie konnte schon richtig hinlangen.«
Davon unberührt blieben seine Gitarre und das Buch, in das er seine Texte schrieb. Als er meinte wieder ein Klavier zu brauchen, kaufte er ein gebrauchtes und stellte es auf die überdachte Veranda seines Apartments, auf der er stundenlang saß und über die Menschen nachdachte, die auf dem Weg zum Strand bei ihm vorbeigingen. Was er von der Veranda aus nicht sehen konnte, beobachtete er auf seinen Spaziergängen entlang der Promenade: die Tricks der Biker, die betrunken grölenden, feiernden Teenager und die Kellnerinnen, die in den Cafés arbeiteten – es war dieselbe Umgebung, in der er selbst fünf Jahre lang gelebt hatte, nur dass er sie jetzt in einem ganz neuen Licht sah; er spürte die Kälte in den Schatten, die die Neonlichter warfen, und den Trübsinn, der sich hinter dem erschöpften Lächeln der Kellnerinnen verbarg. In seiner Vorstellung romantisierte er die Szenerie, indem er sie anreicherte mit Cowboys, Outlaws, Engeln und Teufeln aus Büchern, Filmen und Liedern, die die tatsächliche und mythische Geschichte Amerikas erzählten. Die Songs, die dabei entstanden, waren so detailreich und emotional, dass sie durchaus geeignet waren, den häuslichen Frieden zu stören. »Als er ›Sandy‹ schrieb, war Diane stinksauer«, erzählt Tellone. »Sie glaubte, er würde sie betrügen. ›Er schreibt über eine von diesen beschissenen Kellnerinnen an der Promenade!‹, klagte sie. In Wahrheit hatte er über sie geschrieben, nur begriff sie das nicht.«
Sam McKeith begriff sofort, was er zu tun hatte, als er zum ersten Mal einen Auftritt von Bruce und der Band sah. Der ehrgeizige junge Konzertveranstalter, der für die große Künstleragentur William Morris arbeitete, hatte sich in New England bereits einen Namen als Spezialist für Soul-Acts gemacht. Sein Mentor in der Firma hatte ihn allerdings gewarnt, dass er Gefahr laufe, von den Verantwortlichen bei der Agentur (die allesamt Weiße waren), als Schwarzen-Sympathisant ohne breites musikalisches Gespür abgestempelt zu werden. McKeith, der sehr ehrgeizig war, beschloss daraufhin im Herbst 72, sich auch dem Mainstream-Rock’n’Roll zuzuwenden. Im Sommer hatte er bereits einen kurzen Blick auf Bruce bei einer seiner Soloshows im Max’s Kansas City in New York geworfen, und ihm gefielen die bestechenden Bildwelten seiner Songs. Als Bob Spitz (mit dem McKeith zusammengearbeitet hatte, als Spitz während seines Grundstudiums Studentenveranstaltungen im Albright College in Pennsylvania organisiert hatte) wenige Wochen später bei ihm anrief, brauchte es daher nicht mehr als eine Liveaufnahme, um den Veranstalter zu überzeugen. McKeith war begeistert. »Ich war entschlossen, alles daran zu setzen, um diesem Kerl zum Durchbruch zu verhelfen«, sagt er. Mit Auftritten im Vorprogramm von Sha Na Na in Ohio Ende Dezember 72 brachte er den Stein ins Rollen. An
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