Bruce: Die Springsteen-Biografie (German Edition)
Silvester war Bruce wieder daheim bei Diane, mit der er den Jahreswechsel feierte. Er startete ins neue Jahr auf gepackten Koffern und mit dem Vorsatz, alles zu geben.
Noch bevor Greetings am 5. Januar in die Läden kam, brach die Band für vier aufeinanderfolgende Gigs im Vorprogramm der Comedy-Rock-Truppe Travis, Shook and the Club Wow zum Main Point Club in Bryn Mawr, Pennsylvania, auf. Anschließend hatte die Gruppe einen Tag Pause, bevor in Boston eine weitere, achttägige Konzertreihe im Vorprogramm des Folk-Blues-Gitarristen David Bromberg begann. So ging es in den folgenden Wochen und Monaten weiter, mit etlichen Konzerten im Nordosten der USA. Streckenweise war dieses neue Leben als Vertragskünstler bei einem Major Label mit allem, was dazugehörte, wie der Publicity und der finanziellen Unterstützung seitens Columbias, extrem aufregend.
Bei einem Interview mit der sehr beliebten Radiomoderatorin Maxanne Sartori für den einflussreichen, progressiven Rocksender WBCN-FM war Bruce schon fast bis zur Albernheit überdreht. Nach einer kurzen Einstimmung mit dem Duke-Ellington-Song »Satin Doll«, den sie in einem nach Heilsarmee klingenden Arrangement mit Saxofon, Akkordeon, Tuba und Gitarre spielten, erzählte Bruce, dies sei sein erstes Radiointerview und er müsse daher zunächst unbedingt seine Mutter grüßen, was für viele Lacher im Studio sorgte. Anschließend wechselten sich etwas holprige Interviewstrecken mit einem fabelhaft aufgelegten Bruce mit ein paar akustischen Darbietungen einiger Greetings -Songs ab, darunter auch eine sehr lebhafte Version von »Blinded by the Light« mit Jimmy Cretecos, Chefroadie Albee Tellone und einem PR-Mann von Columbia namens Ed Hynes als Backgroundsänger. »Das ist meine neue Single, Kids!«, erklärte Bruce dem Publikum. »Wenn ihr in den Laden geht, um sie zu kaufen, gebe ich euch ein Autogramm mitten aufs Etikett!« Wenige Tage später erschien Bruce zu einem Interview mit Barbara Schoeneweis von der Asbury Park Press in einer abgewetzten grünen Lederjacke, einem zerknitterten Hemd, Jeans und zerschlissenen Stiefeln. Erschöpft und gleichzeitig besorgt, er könne womöglich den Eindruck erwecken, seine Herkunft verraten zu haben, um zum Glamrocker aufzusteigen, sprach er in grummeligem Ton und in »einer typisch trotzigen Art« über sein Leben als Musiker, der bei einem Major Label unter Vertrag ist. »Es ist seltsam, für eine so große Firma zu arbeiten«, erklärte er Schoeneweis und fügte hinzu, dass »es äußerst mühsam [gewesen sei], mich dazu zu bringen, den Vertrag zu unterschreiben.« 5 Bei einem Rückblick auf seine Zeit in Asbury Park spann er weitere Legenden. So behauptete er beispielsweise, Bands häufig noch während eines Auftritts aufgelöst zu haben, wenn ihm nicht gefiel, was sie spielten. »Die Welt kann auf eine weitere x-beliebige vierköpfige Rock’n’Roll-Band gut verzichten, und dem Markt würde es guttun, weniger zugemüllt zu werden«, sagte er. Er weigerte sich, Fragen zu seinen neuen Songs, seiner Familie oder seinen beruflichen Plänen zu beantworten mit dem Hinweis darauf, dass Schoeneweis alles, was sie wissen müsse, seinem Album entnehmen könne. Als die Journalistin ihn allerdings fragte, was seine Songs für John Hammond, Columbia und die nationalen Kritiker so unwiderstehlich mache, konnte sich Bruce einen Anfug von Stolz nicht verkneifen.
»Nun ja, das bin ich«, erwiderte er.
Bei seinen Liveshows legte Bruce den Schwerpunkt mehr und mehr auf die Auftritte mit der Band. Immer öfter begann er ein Konzert mit einer akustischen Solonummer oder kam mit Tallent und dem mit Tuba und Saxofon bewaffneten Clemons auf die Bühne, die den passenden schrägen Dampforgelsound zu »Circus Song« (aus dem später »Wild Billy’s Circus Story« wurde) lieferten. Anschließend holte Bruce den Rest der Band auf die Bühne, tauschte seine Akustikgitarre gegen seine gerade erst gekauft Fender 6 und zählte das Instrumentalintro zu »Does This Bus Stop at 82nd Street?« ein. Hiermit verabschiedete sich der stille Musikpoet von Greetings und machte Platz für den lauten Rock’n’Roller. Neu konzipiert als eine Art Van-Morrison-R&B-Nummer (man denke an »Domino«), nur schneller und heftiger, begann »82nd« in voller Lautstärke und schwang sich im weiteren Verlauf noch höher hinauf. Das Schlussbild des die Rose fangenden Matadors klang, vor dem Hintergrund eines hell tönenden Saxofons und einer Band auf der Überhohlspur,
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