Bruder Cadfael Und Der Hochzeitsmord
friedlich schlief, nicht zu wecken. Den weiten Mantel, mit dem er ihn zugedeckt hatte, ließ Joscelin zurück, denn die Nacht war kalt, und außerdem hätte er es nicht gewagt, sich damit der Stadt zu nähern - obwohl das Risiko, sich ohne den Schutz dieser Verkleidung zu zeigen, gewiß ebenso groß war. Er würde eben darauf achten müssen, daß niemand ihn sah. Darüber hinaus vertraute er darauf, daß ihn nördlich der Klostersiedlung niemand vermuten würde, nachdem der Sheriff und seine Männer diese Gegend vergeblich abgesucht hatten, und daß man sich heute - so hoffte er jedenfalls - auf einen anderen Abschnitt konzentrieren würde.
Er schlich sich in die Eingangshalle und nahm Bruder Marks Tintenfaß und Schreibfeder an sich. Er wollte nicht hier warten, bis es hell wurde, und eine Kerze zu entzünden, wagte er nicht.
Aber das Ewige Licht über dem Altar in der Kirche würde, so schwach es auch war, ausreichen, um einige Worte zu Papier zu bringen. Er hatte seine Botschaft bereits formuliert, und es gelang ihm, sie leserlich, wenn auch nicht allzu sauber, niederzuschreiben. Die Feder kratzte und hätte zurechtgeschnitten werden müssen, aber er besaß kein Messer. Bis auf die Tatsache, daß er gesund war, unterschied ihn nun nichts mehr von den Männern und Frauen, die hier lebten - er besaß nur noch das, was er am Leib trug.
»Simon, um unserer Freundschaft willen, binde Briar in einem Gebüsch auf der anderen Seite des Baches am Kloster an und sag Iveta, sie soll nach dem Vespergottesdienst in den Kräutergarten kommen.«
Das würde ausreichen. Er mußte nur einen Weg finden, seinem Freund diese Nachricht zukommen zu lassen. Da er Simons Namen genannt hatte, durfte kein anderer sie zu Gesicht bekommen. Er bereute nun den natürlichen Impuls, seinen Brief mit einer Anrede zu beginnen, denn wenn er in die falschen Hände geriet, würde er Simon in seine Schwierigkeiten hineinziehen. Er hatte jedoch keine Möglichkeit, den verräterischen Namen abzuschneiden, und so blieb ihm nichts anderes übrig, als seine Nachricht so zu lassen, wie sie war, oder aber seinen einzigen Plan aufzugeben. Er war nun gezwungen, noch vorsichtiger und kühner vorzugehen, wenn er seinen Freund nicht gefährden wollte.
Es war kurz vor Tagesanbruch, als er aus dem Haus trat.
Draußen war es ebenso still, und es herrschte dasselbe Zwielicht wie vorgestern, als er sein Versteck im Garten des Bischofs verlassen hatte. Vorsichtig schlich er sich in Richtung Stadt, immer in Deckung von Bäumen und Büschen und in einem gebührenden Abstand zur Straße. Die Gärten der Klostersiedlung zwangen ihn zu einem Umweg, aber er hatte Zeit genug und achtete darauf, kein Geräusch zu machen. Im Haus des Bischofs würde niemand aufstehen, bevor es hell war, und erst wenn die Herren gefrühstückt hatten, würden alle aufbrechen, um die Gegend nach ihm abzusuchen. Er hatte den schmalen, von Bäumen gesäumten Pfad erreicht, der von der Hauptstraße abzweigte und entlang der Einfassungsmauer des bischöflichen Grundstücks verlief, und hielt inne, um zu überlegen, wie er weiter vorgehen sollte. Die Mauer war zu hoch, um über sie hinweg sehen zu können, und wenn er schon auf einen Baum stieg, dann war es besser, einen auszuwählen, der ihm einen Blick über den inneren und äußeren Hof ermöglichte, so daß er das Treiben vor den Ställen beobachten konnte.
Seine Wahl fiel auf eine große Eiche. Er kletterte hinauf und streckte sich auf einem Ast aus, der noch so viel Laub trug, daß man ihn nicht würde sehen können. Von hier aus konnte er nach beiden Seiten spähen, und sollte er gezwungen sein, schnell zu verschwinden, dann konnte er auf den Boden springen. Im Augenblick aber blieb ihm nichts anderes übrig als zu warten. Der Tagesanbruch war zwar nicht mehr fern, aber im Osten zeigte sich erst ein schmaler grauer Streifen am Himmel.
Joscelin würde das Frühstück versäumen - heute würde niemand für ihn stehlen müssen.
Schließlich wurde es Tag. Als die Dunkelheit wich, nahmen das Haus, die Mauer, die Ställe, Scheunen und Vorratshäuser langsam Gestalt an, und der Hof erwachte zum Leben.
Verschlafene Diener, Bäcker, Knechte und Milchmädchen machten sich an ihre Arbeit. Küchenjungen trugen Tabletts mit frisch gebackenem Brot aus dem Backhaus ins Hauptgebäude.
Es verging noch einige Zeit, bevor sich die Herrschaften zeigten. Kanonikus Eudo war der erste. Er ging zur zweiten Messe. Etwas später erschienen Simon und Guy. Beide
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