Bruder Cadfael Und Der Hochzeitsmord
Die blitzenden Augen in seinem beherrschten, wie aus Granit gehauenem Gesicht gaben ihm das Aussehen eines Racheengels. Im Vergleich zu ihm wirkte Prior Robert, trotz seines normannischen Hochmutes und seiner Würde, blaß und unbedeutend. Hinter den beiden standen sprachlos und entsetzt die Klosterbrüder und waren davon überzeugt, daß im nächsten Augenblick Blitze vom Himmel herabzucken würden.
Ivetas Beine gaben unter ihr nach. Sie ließ sich auf die oberste Stufe sinken und legte erleichtert die Stirn auf die Knie.
Jetzt war der Abt da, und niemand würde sterben müssen - noch nicht. Jetzt hatte Joscelin nur noch den Tod zu fürchten, den das Gesetz rechtfertigte. Aber daran durfte sie nicht denken - nun galt es, einen Schritt nach dem anderen zu tun.
Stumm und inbrünstig betete sie um ein Wunder.
Als es ihr schließlich gelungen war, das Zittern, das ihren ganzen Körper durchlief, zu unterdrücken, hob sie den Kopf und sah, daß der ganze große Innenhof des Klosters voller Menschen zu sein schien und immer mehr herbeiströmten.
Gilbert Prestcote war soeben durch das Tor geritten und abgesessen, und auch die Männer, die sich an der Suche beteiligt hatten, betraten allein oder zu zweit den Hof und wunderten sich, den Übeltäter, nach dem sie die ganze Gegend abgesucht hatten, hier im Kloster zu finden. Der Sheriff brauchte einige Augenblicke, um in dem zerzausten jungen Mann in den zerrissenen Kleidern, der sich an die Wand des Gästehauses drückte, den mutmaßlichen Dieb und Mörder zu erkennen, den er zwei volle Tage lang vergeblich im Wald gesucht hatte.
Mit großen Schritten kam er herbei. »Was geht hier vor, Ehrwürdiger Vater? Hat man den Gesuchten in Eurem Kloster gestellt? Was ist vorgefallen?«
»Eben dies will ich herausfinden«, sagte Radulfus entschlossen. »Ihr sagt es: Der Gesuchte wurde in meinem Kloster gestellt und unterliegt meiner Gerichtsbarkeit. Mit Eurer Erlaubnis, Sir Gilbert - es ist mein Recht, zu untersuchen, wie es zu diesem ungeheuerlichen Vorfall kommen konnte.« Zornig wandte er sich wieder den bewaffneten Männern zu. »Steckt eure Waffen wieder ein! In meinem Kloster dulde ich weder gezogene Schwerter noch Gewaltanwendung.« Sein Blick fiel auf Joscelin, der, den Dolch in der Hand, sprungbereit an der Wand des Gästehauses stand. »Und Ihr, junger Mann - mir scheint, ich hatte bereits früher Gelegenheit, ähnliche Worte zu Euch zu sprechen und Euch zu warnen, daß dieses Kloster über einen Karzer verfügt, in den ich Euch bringen lassen werde, wenn Ihr es wagen solltet, den Griff einer Waffe auch nur zu berühren. Was habt Ihr zu Eurer Rechtfertigung zu sagen?«
Joscelin hatte inzwischen Atem geschöpft und war bereit, sich zu verteidigen. Er hob die Arme, um zu zeigen, daß keine Schwert-oder Dolchscheide an seinem Gürtel hing. »Als ich hierher kam, trug ich keine Waffe, Ehrwürdiger Vater. Seht, wie sie mich umzingelt haben! Diesen Dolch habe ich einem der Männer entrissen, als sich die Gelegenheit dazu bot, aber nicht, um einen von ihnen zu töten, sondern nur, um nicht selbst getötet zu werden. Ich wollte lediglich mein Leben und meine Freiheit schützen. Und was die Anschuldigungen gegen mich betrifft, so sage ich, daß ich nie etwas gestohlen oder einen Menschen getötet habe, und dabei werde ich bleiben, vor Euch und vor jedem anderen Gericht, solange ein Funke von Leben in mir ist.« Er war wieder außer Atem geraten, zum Teil infolge der Anstrengung des Kampfes, zum Teil aber auch vor Wut.
»Erwartet Ihr etwa von mir, daß ich meinen Kopf freiwillig in die Schlinge stecke, obgleich ich nichts Böses getan habe?«
»Ich rate Euch, Euren Ton gegenüber mir und den Vertretern der weltlichen Macht zu mäßigen und Euch dem Gesetz zu unterwerfen«, erwiderte der Abt streng. »Gebt den Dolch zurück - Ihr seht ja, daß er Euch nun nichts mehr nützen kann.«
Joscelin erwiderte seinen Blick mit kampflustigem, entschlossenem Gesicht und hielt die Waffe dann mit einer abrupten Bewegung ihrem Eigentümer hin, der sie vorsichtig in Empfang nahm und in die Scheide steckte, bevor er wieder zurücktrat.
»Ehrwürdiger Vater«, sagte Joscelin, und es klang eher wie eine Forderung als wie eine Bitte, »ich bin Eurer Gnade ausgeliefert. Ich vertraue Eurem Urteil mehr als dem eines weltlichen Gerichtes. Euer Wort ist hier Gesetz, und ich habe Euch gehorcht. Befragt mich zu allem, was ich je getan habe, bevor Ihr mich dem Sheriff übergebt, und ich schwöre, daß
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