Bruder Cadfaels Buße
an ihn herangekommen wäre. Yves ist bestimmt nicht der einzige, der ihm feindlich gesonnen war. Innerhalb dieser Mauern befanden sich bestimmt vier Dutzend Männer, die ihn wegen seiner Handlungsweise in Faringdon haßten.
Manche von ihnen dürften zur Besatzung gehört haben und rechtzeitig entkommen sein, viele andere aus dem Gefolge der Kaiserin, die nicht dabei waren, sind ihm trotzdem wegen seines Verrats gram. Er hätte sich vor jedem gehütet, den er nicht gut kannte und ausschließlich seinen Verbündeten getraut, die seine Überzeugung teilten.«
»Den einen hier aber hat er falsch eingeschätzt und mit dem Leben dafür bezahlt«, sagte Hugh.
»Wie sollte ein Verräter mit Gegenverrat rechnen? Er hatte sich gegen die Kaiserin gestellt, und jetzt hat sich einer seiner eigenen Leute gegen ihn gewandt - und er hat sich eben in jenem ebenso vollständig getäuscht wie zuvor Maud sich in ihm. Das ist der Lauf der Welt.«
»Wir dürfen wohl alles, was Yves sagt, für bare Münze nehmen?« fragte Hugh mit ernstem Blick auf den Freund.
»Ich bin dazu gern bereit, denn ich kenne ihn. Aber müssen wir nicht überlegen, wie sich die Dinge für andere darstellen, die nicht mit ihm bekannt sind?«
»Gewiß«, sagte Cadfael unbeirrt, »doch müssen wir unserer Überzeugung treu bleiben. Zwar hat niemand bestätigt, daß er unter den letzten war, die in die Kirche gekommen sind, aber das ist nicht unbedingt verwunderlich. Er sagt, daß er sich verspätet und mit niemandem gesprochen hat, weil die Andacht schon begonnen hatte.
Da er in einer dunklen Ecke gleich am Eingang stand, war er am Schluß einer der ersten, die hinaustraten, um den Weg frei zu machen. Wir haben seinen Ausruf gehört - zuerst war es einfach ein Laut der Überraschung, als er strauchelte, dann kam der Hilferuf. Wenn er die Komplet tatsächlich nicht besucht und Zeit gehabt hätte, in aller Ruhe zu handeln, während fast alle in der Kirche waren, warum hätte er dann rufen sollen? Aus Arglist, wie ihm Philip vorgehalten hat, um den Anschein der Schuldlosigkeit zu erwecken? Yves ist klug, aber in keiner Weise gerissen. Außerdem wäre ihm, hätte er sich allein im Kreuzgang aufgehalten, genug Zeit geblieben, zu entkommen und den Toten von anderen auffinden zu lassen.
Er war waffenlos, und man hat sein Schwert in seiner Unterkunft aufgefunden, wie er es gesagt hatte. Es stak in der Scheide. Ich habe mir die Klinge gründlich angesehen: Sie war unbefleckt. Zwar hätte er, wie es Philip behauptet hat, während der Komplet genug Zeit gehabt, sie zu säubern und das Schwert wieder in seine Unterkunft zu bringen. Doch hätte er dann selbst die Aufmerksamkeit auf den Vorfall gelenkt? Nein, er hätte dafür gesorgt, daß er sich an einem anderen Ort aufhielt, als man den Toten fand, und zwar unter Zeugen, die bestätigen konnten, daß er zum Zeitpunkt des ersten Ausrufs weit vom Ort der Tat entfernt war.«
»Und wenn er nach der Komplet aus der Kirche gekommen ist, wie er sagt, hatte er nicht nur keine Zeit, dem Mann entgegenzutreten und ihn zu töten, sondern auch weder Schwert noch Dolch bei sich.«
»So ist es. Ich denke, du weißt ebensogut wie ich, daß der Tod vorher eingetreten ist. Allerdings läßt sich nur schwer sagen, wieviel früher. Der Leichnam hatte Zeit zu bluten, man sieht noch die Größe der Lache, die sich unter ihm gebildet hat. Nein, du brauchst keine Zweifel zu haben. Das Bild, das du dir von dem Jungen gemacht hast, entspricht der Wirklichkeit.«
»Die meisten Angehörigen der Hofhaltung waren in der Kirche«, sagte Hugh nachdenklich. »Allerdings müssen es nicht unbedingt alle gewesen sein. Wie du schon sagst: De Soulis hatte hier Feinde, von denen zumindest einer unauffälliger vorgegangen ist als Yves, und mit tödlichem Ausgang.«
»Außerdem muß es jemand gewesen sein«, resümierte Cadfael noch einmal finster, »dem er nicht mißtraute.
Einer, der nahe an ihn herantreten konnte, ohne Verdacht zu erregen, einer, auf den er wartete, denn gewiß hat er hier in der Mauernische gestanden, ist bereitwillig herausgetreten, als der andere kam, und wurde genau auf der Schwelle durchbohrt.«
Hugh beschäftigte sich in Gedanken noch einmal mit dem Winkel des Sturzes, der Lage der Leiche, der sonderbaren Gestalt des Blutflecks, ohne an Cadfaels Darstellung des Geschehens einen Fehler entdecken zu können.
Mit ihren wohlgemeinten Bemühungen, beide am Streit beteiligten Parteien zu einer Versöhnung zusammenzubringen, hatten
Weitere Kostenlose Bücher