Bruder Cadfaels Buße
Herr, wie er es in der ersten Hälfte seines Lebens gewesen war. Nur selten hatte er dabei ein darüber hinausgehendes Bedürfnis gespürt, ser Kirche Saint Denis gehörte. Sofern Cadfael dort die Nacht verbrachte, konnte er möglicherweise einiges über die Umgebung in Erfahrung bringen. Landbewohner achten schon aus Gründen der Selbsterhaltung aufmerksam auf das Tun und Treiben ihrer Herrschaft - zumal in Bürgerkriegszeiten.
Die Burg La Musarderie ging auf die Zeit König Wilhelms des Eroberers zurück, der Hascoit Musard das Dorf Greenhamsted zum Lehen gegeben hatte, kurz bevor er die Erstellung des Reichsgrundbuchs in Angriff nahm. Die brauchte einige Zeit, lange genug um eine steinerne Burganlage fertigzustellen, nachdem man anfangs in aller Eile einen hölzernen Bau errichtet hatte, um die Stelle zu sichern. Faringdon hingegen war binnen weniger Sommerwochen so stark wie möglich befestigt worden, wozu man Erdwerke aufgeworfen und hölzerne Bauten errichtet hatte. Etwas anderes war in der kurzen Zeit nicht möglich gewesen. Prompt hatte dann der Gegner mit der Belagerung begonnen, als die Anlage kaum fertig war. Cricklade wiederum lag, in welchem Zustand der Befestigung auch immer es sich befand, der Stelle, an der Yves gefangen genommen wurde, nicht so nahe wie Greenhamsted. Nun, Cadfael würde sehen, ob er in Deerhurst auf jemanden stieß, der ihn in seinen Fragen weiterbringen konnte.
Er ritt in gemäßigter Gangart, denn er wollte so lange wie möglich im Sattel bleiben, um noch vor Einbruch der Nacht ein gutes Stück Weg hinter sich zu bringen. Er machte auch zum Essen nicht Rast und verrichtete die Gebete zur Terz und Sext im Sattel. Einmal traf er einen berittenen Kaufmann, den ein Gehilfe begleitete, und sie zogen einige Meilen gemeinsam weiter. Cadfael ließ dessen Wortfluß über sich ergehen und murmelte nur von Zeit zu Zeit höflich bestätigende Worte. Seine Gedanken beschäftigten sich währenddessen mit dem, was ihn im Themsetal erwarten mochte, wo die Kampflinie verlief.
Vor den Toren von Stratford trennten sich ihre Wege: Der Kaufmann und sein Begleiter ritten in die Stadt, während Cadfael seinen Weg auf einer vielbenutzten und vergleichsweise sicheren Straße fortsetzte. Hin und wieder traf er andere Reisende und tauschte mit ihnen einen Gruß.
In der Abenddämmerung erreichte er Evesham. Unvermittelt kam ihm der erschreckende Gedanke, daß er bisher als selbstverständlich angenommen hatte, man werde ihn dort als Ordensangehörigen willkommen heißen. In Wirklichkeit aber genoß er solche Vorrechte nicht mehr, hatte er doch sein Gehorsamsgelübde mit voller Absicht und im Bewußtsein dessen gebrochen, was er tat.
Als Wortbrüchiger, der sich selbst aus der Gemeinschaft der anderen ausgeschlossen hatte, durfte er eigentlich nicht einmal mehr das Habit tragen, es sei denn, man gestattete ihm das aus Nächstenliebe, damit er seine Blöße bedecken konnte.
Er bat um ein Strohlager und legte dar, daß er sich auf einer Bußreise befinde, und daher die Gemeinschaft der zum Chor zugelassenen Mönche vor deren Abschluß nicht verdiene. Mit dieser Erklärung entfernte er sich nicht unnötig weit von der Wahrheit. Der Bruder, dem die Aufnahme Reisender oblag, war rücksichtsvoll genug, nicht mehr aus ihm herauszufragen, als er sagen wollte, tat ihm seinen Willen und bot ihm obendrein einen Beichtiger für den Fall an, daß er einen brauchte. Dann gab er ihm Gelegenheit, sein Pferd in die Stallungen zu führen und sich darum zu kümmern, bevor er selbst ausruhte. Bei der Vesper und der Komplet zog sich Cadfael in einen dunklen Winkel des Kirchenschiffs zurück, von dem aus er den Hochaltar sehen konnte. Äußerlich war er nicht aus der Gemeinschaft des Ordens ausgeschlossen. Noch nicht.
Doch während der gesamten Andacht spürte Cadfael in seinem Inneren ein sonderbares Paradox, eine Leere, die schwerer drückte als Steine.
Im Verlauf des nächsten Nachmittags kam er durch das Waldgebiet, das sich am Rande des Tals von Gloucester entlangzieht. Alle Grafschaften Mittelenglands schienen reichlich von Wäldern voller Wild bestanden zu sein, ein einziger großartiger Forst. Und in diesem speziellen Revier hatte Philip FitzRobert einen Mann gejagt — ein weiterer bestürzender Verlust für die tapfere junge Frau, die ein Kind erwartete und jetzt ganz allein in Gloucester saß.
Cadfael hatte Tewkesbury rechts liegenlassen und folgte dem kürzesten Weg nach Gloucester, wie das wohl auch die
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