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Bruder Cadfaels Buße

Bruder Cadfaels Buße

Titel: Bruder Cadfaels Buße Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ellis Peters
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der Türme inspizieren konnte, war er bereits weit oberhalb der Burg angelangt, ganz in der Nähe der ersten Häuser des Dorfes. Nach dieser Erhebung wurde das Gelände eben und ging in die Hochfläche der Cotswolds über, die sich weit dahinzog, mit langen geraden Straßen, großen offenen Ackerflächen und reichen Dörfern, zu denen Herden wohlgenährter Schafe gehörten. Dort, unmittelbar unterhalb des Bergkamms, war wohl die günstigste Stelle zur Aufstellung der Steinschleudern, zumal man von dort aus auch am ehesten einen Trupp zum Unterminieren der Mauern in Marsch setzen oder einen der als >Widder< bezeichneten Sturmböcke vorrücken lassen konnte. Möglicherweise ließe sich sogar im Dunkel der Nacht die Mauer ungesehen im Laufschritt erreichen. Am Fuß jenes letzten Turmes war das Mauerwerk von anderer Farbe, als sei es einmal ausgebessert worden. Sofern dort ein Widder eine Bresche schlug, konnte man unter Umständen einen Brand legen und damit einen Teil des Turms zum Einsturz bringen.
    Auf jeden Fall mußte er sich all diese Einzelheiten einprägen. Mehr konnte er jetzt nicht ausrichten. Er kannte nun neben der genauen Lage der Burg auch die Umgebung und konnte Bericht darüber erstatten. Yves ließ die Häuser des Dorfes hinter sich und nahm den ersten Weg ostwärts, um die Straße zu erreichen, die nordwestlich nach Gloucester und südöstlich nach Cirencester führte.
    Am späten Nachmittag ritt er durch das Osttor in die Stadt ein. Die Straßen kamen ihm belebter und geschäftiger vor, als er sie je gesehen hatte. Schon vor dem Marktkreuz hatte er in der Menge die Livreen und Wappen einiger der mächtigsten Parteigänger der Kaiserin entdeckt. Unter anderem waren das ihr jüngerer Halbbruder Reginald FitzRoy und der Graf von Devon, Baldwin de Redvers sowie Patrick von Salisbury, Humphrey de Bohun und der Marschall John FitzGilbert. Mit der Anwesenheit der höheren Hofbeamten hatte Yves gerechnet, doch die entfernteren Parteigänger wähnte er längst wieder auf ihren eigenen Besitzungen. Er verstand dies als gutes Vorzeichen und seine Zuversicht stieg. Offenbar hatten alle, die nach Süden und Westen Weiterreisen mußten, hier Halt gemacht. Vermutlich waren sie erneut zusammengekommen, um sich nach dem Fehlschlag der bischöflichen Friedensbemühungen zu beraten und festzustellen, auf welche Weise man dem Feind zuvorkommen konnte. Das aber bedeutete, daß der Kaiserin hier in Gloucester ein Heer zur Verfügung stand, das ohne weiteres bedeutend stärkere Festungen als La Musarderie hätte angreifen können. Auch gebot sie über Belagerungsmaschinen, die so leicht waren, daß sie sich rasch transportieren ließen, zugleich aber auch schwer genug, um bei richtigem Einsatz eine Bresche in eine Mauer schlagen zu können. Als wichtigste Waffe aber würde sich die unerschütterliche Treue Roberts von Gloucester erweisen, der gewiß bereit war, gegen seinen abtrünnigen Sohn Philip zu Felde zu ziehen, ihn zu entwaffnen und sein Blut zu fordern.
    Sicherlich focht Philip ebenso rückhaltlos für König Stephen wie nur je für die Kaiserin, aber er hatte bisher nie seinem Vater gegenübergestanden, dem er untreu geworden war. Die Tötung naher Verwandter stellte die einzige Ungeheuerlichkeit dar, zu der es in jenem Bürgerkrieg bislang nicht gekommen war - wirklich die einzige. Wer aber wäre näher miteinander verwandt als Vater und Sohn?
    Zwar sprach man von Bruderkrieg, aber genau das war er nicht. Wenn Robert vor den Toren von La Musarderie die Übergabe verlangte und dabei sein eigenes Leben in die Waagschale warf, mußte Philip weichen. Selbst wenn er kämpfte, um sein Gesicht zu wahren, durfte er das höchstens halbherzig tun, stets darauf bedacht, nicht mit dem Schwert in der Hand auf seinen Erzeuger zu treffen. Ganz gleich, ob man den Vater liebte oder haßte, die Beziehung zu ihm war das heiligste und unauflöslichste Band zwischen Menschen. Niemand konnte es zerreißen.
    Yves wollte mit seinem Bericht unverzüglich zum Grafen von Gloucester eilen, denn dieser würde wissen, wie man in der Sache vorzugehen hatte. Daher wandte er sich am Marktkreuz nicht dem Kloster sondern der Burg zu.
    Der Weg führte ihn durch das belebte Südtor zum Fluß, dessen Uferwiesen dem Angriff des Winters noch in vollem Grün trotzten. Die große graue Masse der Burg erhob sich von dort aus gesehen über den Straßen der Stadt, von der anderen Seite aus über dem Flußufer und der breiten stahlgrauen Wasserfläche. Da die

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