Bruder Cadfaels Buße
Blick. Da dessen Gedanken aber um andere Dinge kreisten, fiel ihm das nicht auf. Erst als sie mit den beiden Junkern fast verschwunden war, fiel ihm ein, wo er ihr zum ersten Mal begegnet war. Vermutlich genoß sie eine bevorzugte Stellung unter den Hofdamen, und sicherlich hatte sie einige der Eigenschaften ihrer Herrin übernommen.
Eine weitere halbe Stunde verging, bis sie zurückkehrte, um Yves vor die Kaiserin zu bringen. Inzwischen hatten einer oder zwei der Kaufleute das Warten aufgegeben und den Raum verlassen.
»Ihre Kaiserliche Hoheit befindet sich noch in der Beratung, aber kommt herein und nehmt Platz. Sie wird bald nach Euch schicken.«
Er folgte der jungen Frau über einen kurzen Gang in einen großen hellen Raum, in dem sich drei junge Edelfräulein in einer Ecke mit ihrer Stickarbeit beschäftigten.
Sie unterhielten sich mit gedämpften Stimmen, denn zwischen ihnen und dem Raum, in dem die Kaiserin Rat hielt, lag lediglich eine dünne Tür. Von Zeit zu Zeit stichelten sie halbherzig an ihrer Arbeit herum. Zwar war ihre Anwesenheit erwünscht, doch sollte ihre Beschäftigung nicht in Arbeit ausarten. Yves lenkte bei seinem Eintreten sogleich ihre Aufmerksamkeit auf sich, umso mehr als sein Gesicht einen ernsten und in Gedanken versunkenen Ausdruck aufwies und er die jungen Damen kaum zur Kenntnis nahm. Nach kurzem Schweigen setzten sie ihr Gespräch leise fort, und man durfte getrost annehmen, daß er darin eine Rolle spielte. Die junge Hofdame, die ihn hereingeführt hatte, hieß ihn warten und trat allein in das innere Gemach.
Auf einer Polsterbank saß eine ältere Kammerfrau, weit genug von den jungen Damen entfernt, um deren Plappern nicht zu hören. Auf ihrem Schoß lag ein Buch, doch da das Licht bereits abnahm, hatte sie aufgehört zu lesen. Gewiß brauchte die Kaiserin einige des Lesens und Schreibens kundige Damen um sich, und diese schien m ihrem Hofstaat eine wichtige Rolle zu spielen. Auch an sie konnte sich Yves aus Coventry erinnern. Tante und Nichte, hatte man ihm damals gesagt, die einzigen Damen von Adel, die Maud in jene nur aus Männern bestehende Versammlung mitgenommen hatte. Sie hob den Blick und erkannte Yves offenkundig. Lächelnd bedeutete sie ihm mit einer Handbewegung, er möge zu ihr treten.
»Yves Hugonin? Ihr seid es doch? Wie schön, Euch gesund und munter hier zu sehen. Als freier Mann! Ich hatte gehört, daß Sie uns verloren gegangen sind. Wie die meisten hier, habe ich erst nach der Ankunft in Gloucester von jenem schändlichen Vorfall erfahren.«
Obwohl sie vollständig gefaßt war, und er sich auch nicht vorstellen konnte, daß sie je ihre Gelassenheit verlor, berührten ihn doch ihre Augen, die Yves mit warmem Blick umfaßten, als sie ihn erkannte. Diese Augen - sie waren von Fältchen umgeben - waren die eines lebenserfahrenen Menschen in mittleren Jahren, der sich keiner Täuschung mehr hingibt und den kaum noch etwas überraschen kann. Doch gewannen sie in diesem kurzen Aufblitzen freudigen Erstaunens einen Glanz und eine Tiefe, die Yves ans Herz griff. Es hatte die Kammerfrau offenbar tief erschüttert, daß er erneut in Lebensgefahr geraten war, nachdem ihn die Kaiserin in Coventry ausdrücklich ihrem Schutz unterstellt hatte. Jetzt bewegte es sie, daß er so unerwartet nach Gloucester zurückgekehrt war, als freier Mann und ohne daß man ihm ein Haar gekrümmt hatte.
»Tretet näher und nehmt Platz. Es ist ein zeitraubendes Geschäft, hier auf eine Audienz zu warten. Ich freue mich wirklich«, fuhr sie fort, »Euch wohlbehalten zu sehen.
Als niemand unsere Abreise aus Coventry zu verhindern versuchte, hatte ich angenommen, daß die Schwierigkeiten vorüber seien und man es nicht noch einmal wagen werde, Euch jener Übeltat zu bezichtigen. Es ist äußerst bedauerlich, daß überhaupt ein solcher Verdacht gegen Euch geäußert wurde. Nachdem sich Ihre Kaiserliche Hoheit so unerschütterlich für Euch eingesetzt hatte, hielt ich die Sache für erledigt. Und dann der Überfall...
Wir haben es erst am nächsten Tag erfahren. Wie seid Ihr Philip entronnen? Wir fürchteten um Euch, da er Euch mit so bitterem Haß verfolgte.«
»Ich bin ihm nicht entronnen«, antwortete Yves aufrichtig und hatte dabei wie ein kleiner Junge das Gefühl, es mindere seinen Wert, daß er das zugeben mußte. Es wäre ihm recht gewesen, wenn er hätte sagen können, daß ihm sein Wagemut und Einfallsreichtum die Flucht aus La Musarderie ermöglicht hatten. In dem Fall aber
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