Bruder Cadfaels Buße
dazu aufbieten müssen, über die wir verfügen. Es ist den Preis wert.«
Es lohnte sich also, einen Mann zu ergreifen, den sie haßte, nicht aber einen Mann zu befreien, der ihr die Treue bewahrt und dafür seine Freiheit eingebüßt hatte.
Diese Erkenntnis ließ Yves das Blut in den Adern erstarren. Doch was konnte sie mit Philip tun, wenn sie ihn ergriffen hatte, außer ihn seinem Vater zu übergeben?
Zwar vermochte dieser ihn in seiner Bewegungsfreiheit einzuschränken und vielleicht auch festzusetzen, darüber hinaus aber würde er ihm gewiß kein Leid antun. Sobald sie den Mann bezwungen hatte, der an ihr zum Verräter geworden war, würde sie ihres Hasses überdrüssig sein.
Schlimmeres konnte nicht geschehen. Unter Umständen käme es sogar zu einer Aussöhnung, sobald Vater und Sohn einander begegneten. Die beiden würden sich entweder verständigen oder einander vernichten.
-»Ich will ihn haben«, bekräftigte die Kaiserin voll glühender Rachsucht. »Er soll im Angesicht seiner gefangenen Burgbesatzung vor mir niederknien. Danach«, sagte sie mit wilder Entschlossenheit, »soll er hängen.«
In einem stummen Aufschrei der Bestürzung und des Unglaubens stieß Yves seinen Atem aus. Er sog die Lunge voll Luft, um aufzubegehren, brachte aber kein Wort hervor. Das konnte unmöglich ihr Ernst sein. Immerhin sprach sie von ihrem eigenen Neffen, einem Blutsverwandten. Auch wenn er seinem Vater ein aufrührerischer Sohn sein mochte, so war er doch sein eigenes Fleisch und Blut und überdies Enkel eines Königs. Ein solch skrupelloses Vorgehen bedeutete den Bruch des letzten Tabus, das noch Bestand hatte und unbedingt gewahrt werden mußte. Damit würde die letzte Schranke niedergerissen, die bisher dafür gesorgt hatte, daß aus diesem Krieg kein hemmungsloses Blutbad wurde. Blutsverwandte mochten einander einschüchtern, betrügen, täuschen, ausmanövrieren, aber sie durften sich auf keinen Fall gegenseitig töten. Doch Yves las im Gesicht der Kaiserin unumstößliche Entschlossenheit, glühenden Haß und den Vorgeschmack eines Triumphes. Sie meinte es ernst, sie würde ihr Vorhaben verwirklichen, bedenkenlos, ohne sich zu besinnen und ohne sich erweichen zu lassen.
König David hatte sich unvermittelt aus der entspannten Versunkenheit in die sich allmählich verfinsternde Welt draußen losgerissen und wieder seiner Nichte zugewandt. Zuerst sah er sie ungläubig an, dann den Marschall und den Haushofmeister. Beide erwiderten seine unausgesprochene Frage mit einem Blick, der seine Besorgnis bestätigte und bekräftigte. Sogar er zögerte, unumwunden zu sagen, was er dachte; aus langer Erfahrung im Umgang mit der Kaiserin wußte er, daß sie auf Vorhaltungen mit übermäßiger Heftigkeit reagierte. Zwar fürchtete er ihre Wutanfälle nicht, kannte aber ihre Beharrlichkeit und Starrhalsigkeit und wußte, daß es aussichtslos war, sie aufhalten zu wollen, wenn sie sich etwas in den Kopf gesetzt hatte. So sagte er mit überaus vernünftig und sanftmütig klingender Stimme: »Ist das klug? Zweifellos bist du im Recht, und er ist im Unrecht, doch wäre es sicherlich überlegenswert, dich nicht so in deinen Haß hineinzusteigern. Auch wenn du dich auf diese Weise eines Feindes entledigtest, würdest du unfehlbar ein Dutzend weitere Männer gegen dich aufbringen. Nach den Friedensgesprächen wäre das die sicherste Möglichkeit zu erreichen, daß der Krieg mit größerer Erbitterung denn je weitergeht.«
»Und der Graf ist nicht hier«, gab der Haushofmeister zu bedenken, »so daß Ihr Euch nicht mit ihm beraten könnt.«
Nein, dachte Yves, dem schlagartig alles klar wurde.
Gerade deshalb wird sie noch heute abend handeln und dafür sorgen, daß alle Belagerungsmaschinen, die sich rasch transportieren lassen, vor die Burg gebracht werden. Jeden Mann wird sie aufbieten, den sie entbehren kann, alle anderen Pläne aufschieben - alles, um La Musarderie im Sturm zu nehmen, bevor dem Grafen von Gloucester zu Ohren kommt, was dort vor sich geht. Sie wird es gewiß tun, sie ist verwegen genug, und Dankbarkeit bedeutet ihr nichts. Sie wird vollendete Tatsachen schaffen und Philip hängen lassen, so daß Graf Robert seinen Sohn nur noch als Leichnam zu sehen bekäme.
Den Wagemut dazu hat sie. Es ist ihr einerlei, daß ihr anschließend womöglich alles in den Händen zerfällt und sie'selbst zerstört, worum sie gekämpft hat. Wenn es ihr nur gelingt, diesem einen Feind die Schlinge um den Hals zu legen.
»Ihr könnt
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