Bruder Cadfaels Buße
hatte ihm seine Überlegenheit mißgönnt.
Auf einer Bank im verdunkelten Saal schlief Yves, in seinen Umhang gehüllt, die wenigen Stunden, die ihm nach dem Ende des Kriegsrats blieben, ohne daß er die leiseste Vorstellung gehabt hätte, auf welche Weise er die Rache der Kaiserin vereiteln könnte. Mit einer solchen Freveltat würde sie nicht nur die Hälfte ihrer Gefolgschaft aufstören und sich entfremden, sie würde auch bewirken, daß jedes Schwert, das nicht ohnehin schon blank gezogen und blutbefleckt war, aus der Scheide fuhr, um diesen Krieg zu verlängern und noch mehr zu vergiften. Außerdem wollte Yves Philips Tod nicht - auch wenn es ihm nach einem so beschwerlichen Tag unmöglich war, darüber nachzugrübeln, wo seine Beweggründe dafür lagen. Philip war herrisch, in sich gekehrt, schwer auszuloten, aber ein Mann, den er unter anderen Umständen hätte schätzen können. Dem auch Olivier einst gewogen war, und der ihn ebenfalls nicht verstanden hatte.
Unruhig schlief Yves bis eine Stunde vor Morgengrauen. In der trüben Dämmerung machte er sich zum Aufbruch bereit und ritt dann mit der Hauptstreitmacht der Kaiserin unter John FitzGilberts Oberbefehl gegen La Musarderie.
Mit dem Aufmarsch des Belagerungsheeres um die Burg herum war der Marschall beauftragt, ein erfahrener Mann, der es mit Hilfe seiner Kriegsbaumeister fertigbrachte, die Belagerungsmaschinen so leise auf dem Bergkamm oberhalb der Burg in Stellung zu bringen, daß die Wächter auf den Mauern nichts davon merkten. Zugleich sorgte er dafür, daß sich seine Truppen in Deckung hielten, während sie sich strategisch über das ganze Gelände vom Flußufer bis zum darüber liegenden Dorfrand verteilten. Um sich nicht der Unbequemlichkeit eines Feldlagers aussetzen zu müssen, hatte die Kaiserin mit ihren Damen im Dorf das Haus des Priesters requiriert. Die ganze Sache hätte sich als weit schwieriger erweisen und leicht noch vor Tagesende verraten werden können, wäre es den Bewohnern des Dorfes Greenhamsted nicht unter den Musards recht gut ergangen, so daß es niemanden danach drängte, den gegenwärtigen Herrn von La Musarderie auf die Vorgänge um seine Burg herum aufmerksam zu machen. Da sie keinen Widerstand gegen die vorläufige vollständige Besetzung des Ortes leisteten, würden sie gutes Ansehen bei der Partei genießen, die ihre Macht überzeugend demonstrierte. So hielten sie sich aus allem heraus, saßen aufmerksam inmitten all der Krieger und harrten der Dinge, die da kommen sollten.
Das Aufstellen der Truppen dauerte bis in die anbrechende Nacht hinein, und ihre nur unzulänglich abgeschirmten Lagerfeuer oben am Dorfrand alarmierten schließlich die Wächter in der Burg. Beim Rundgang konnte man von der Mauer aus hier und da zwischen den Bäumen rund um das gerodete Gelände Feuerschein aufblitzen sehen.
»Der Junge hat Wort gehalten. Er scheint mit dem ganzen Heer der Kaiserin gekommen zu sein«, sagte Philip gelassen zu Cadfael. Sie standen auf dem Südturm und sahen zu den winzigen Fünkchen hinüber, die den Ring der Belagerer andeuteten. »Der Zufall will es, daß sie in Gloucester gerade zu einer Zeit, wo ich gut ohne sie ausgekommen wäre, eine ganze Reihe Grafen mit ihren Kriegern um sich versammelt hat. Nun, ich habe ihn zu dem Fest eingeladen. Dieser Übermacht stehe ich so gewappnet gegenüber, wie ich es je sein werde. Morgen sehen wir weiter. Zumindest wissen wir jetzt, was uns bevorsteht.«
Dann fuhr er fort: »Sofern Ihr fortgehen wollt, tut das ungehindert, solange noch Zeit dazu ist. Man wird Euch drüben achten und willkommen heißen.«
»Ich danke Euch für das höfliche Angebot«, antwortete Cadfael seinem Gastgeber mit ebenso gelassener Förmlichkeit, »aber ich verlasse die Burg nicht ohne meinen Sohn.«
Als es vollständig dunkel war, verließ Yves seinen Posten zwischen den Bäumen. Über den Himmel zogen tiefhängende Wolken, die Mond und Sterne verbargen. In jener Nacht würde es zu keiner feindseligen Handlung kommen. Am nächsten Tag forderten die Belagerer angesichts ihrer Überlegenheit Philip gewiß erst einmal zur Übergabe auf, statt die wertvolle Anlage gleich zu zerstören. Diese eine Nacht blieb also für den Versuch einer Kontaktaufnahme - bis zum Morgengrauen.
Yves besaß ein glänzendes Gedächtnis und konnte sich Wort für Wort an das erinnern, was Philip über seinen unerwarteten Gast gesagt hatte: >Er kann seine Stundengebete in meiner Kapelle ebenso getreulich verrichten wie
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