Bruderdienst: Roman (German Edition)
Frauenstimme mit Werrelmann meldete.
»Hiltrud«, sagte er erleichtert. »Thomas Dehner hier. Habt ihr meine Mutter in ein Krankenhaus eingewiesen?«
»Soweit ich weiß nicht«, sagte Hiltrud. »Meldet sie sich nicht?«
»Nein, ich kann sie schon seit Stunden nicht mehr erreichen.«
»Warte mal, ich frag noch mal nach.« Gemurmel im Hintergrund. Dann die Stimme des Arztes: »Hallo, Thomas, nein ich war vorgestern Abend das letzte Mal bei deiner Mutter. Meldet sie sich nicht?«
»Nein.«
»Na gut, dann fahre ich gleich mal hin.«
»Vielen Dank. Und bitte ruf mich an, ich gebe dir noch die Nummer von meiner Arbeit, wo ich in ein, zwei Stunden zu erreichen bin.« Er diktierte Werrelmann die Zentralnummer des BND und verabschiedete sich.
»Ich wünsche Ihnen einen guten Flug«, sagte der Zöllner lächelnd.
»Danke«, antwortete Dehner und stieg in den Hubschrauber.
Der Pilot reichte ihm ein Paar Kopfhörer nach hinten und lächelte. Dann startete er die Maschine.
Dehner war nervös und fummelte in seinen Taschen herum. Er suchte das Schlafmittel, konnte das Gedröhn einfach nicht mehr aushalten. Mit fahrigen Bewegungen schraubte er die Wasserflasche auf und ließ dabei den Verschluss fallen. Ein scharfes Stechen fuhr durch seinen Kopf. Dann rollte die Tablette irgendwohin, und er musste eine neue herausfingern. Sie waren längst in der Luft, als es ihm endlich gelang, eine hinunterzuschlucken.
Diesmal schlief er nicht ein, aber die Welt um ihn herum war wie aus Watte. Ein ekelhaftes Gefühl. Er konnte auch nicht mehr klar sehen. Es war, als befinde er sich unter Wasser, vor seinen Augen bildeten sich Schlieren, die wie schwarze Zackenlinien durch imaginierte Bilder glitten. Dehner schloss die Augen. Er konnte das nicht aushalten.
Als er später die mitleidigen Seitenblicke des Piloten bemerkte, war ihm das alles furchtbar peinlich, und er spürte das dringende Verlangen, eine Erklärung abzugeben. Aber noch funktionierte seine Selbstkontrolle, er konnte schließlich nicht Hinz und Kunz erzählen, dass ihn prügelnde CIA-Typen in San Francisco bis zur Bewusstlosigkeit in die Mangel genommen hatten.
Als ihm diese Worte durch den Kopf gingen, musste er für Sekunden lächeln. Und überraschenderweise fand er seinen Job trotz allem noch immer wunderbar. Wer wurde schon so nach Hause geholt, von Frankfurt/Main nach Berlin in einem Hubschrauber, ganz allein und scheinbar sehr wichtig. Mein Gott, dachte er, sich selbst beschwichtigend, verlier jetzt bloß nicht die Nerven. Werrelmann ist bei ihr und kümmert sich. Mehr kannst du im Moment nicht tun.
Sie landeten im Innenhof des Bundesnachrichtendienstes.
Dehner bedankte sich bei dem Piloten und stieg aus. Ein junger Mann, den er nicht kannte, war plötzlich neben ihm und sagte: »Herzlich willkommen!« Er nahm Dehners Tasche und ging vor ihm her direkt in Sowinskis Büro. Von draußen drang noch das ohrenbetäubende Dröhnen des abfliegenden Hubschraubers zu ihnen herein.
»Guten Tag, Herr Dehner«, begrüßte ihn Sowinski sachlich. »Wie war die Reise?«
»Erträglich«, antwortete Dehner.
»Das ist aber schön gelogen. Brauchen Sie einen Arzt?«
»Nein, nein, ich wurde schon medizinisch versorgt«, sagte Dehner. »Ich möchte nur so schnell wie möglich nach Hause, wenn das geht. Es ist so, dass meine Mutter …«
»Ich weiß davon. Ihr Arzt hat hier angerufen. Ich muss Ihnen leider mitteilen, dass Ihre Mutter verstorben ist.«
Es war plötzlich sehr still im Raum, und Sowinski blieb einfach sitzen. Er stand nicht auf, gab Dehner nicht die Hand, um ihm sein Beileid auszusprechen, sondern saß einfach nur da und betrachtete ihn mit ruhigem Blick.
»Ja«, sagte Dehner tonlos. Er dachte: Wieso falle ich nicht vom Stuhl? Wieso fange ich nicht an zu schreien? Wieso bin ich so unbeteiligt? Was ist los mit mir?
»Wann ist es denn passiert?«, fragte er.
»Gestern Nacht wahrscheinlich, sagte mir der Arzt.«
»Und wo ist sie?«
»Zu Hause. Wir fahren gleich dorthin. Und jetzt konzentrieren Sie sich bitte auf das, was in San Francisco Ihrer Meinung nach geschehen ist. Ich muss das schnell abklären, weil unsere ganze Unternehmung mit Höchstgeschwindigkeit weitergeführt werden muss – trotz allem. Verstehen Sie das?«
»Nein«, antwortete Dehner spontan. Dann sah er Sowinski an und korrigierte sich. »Ja, natürlich, ich verstehe das.«
»Es geht ganz schnell. Ich weiß, dass Ihnen das jetzt unmenschlich vorkommt. Aber wir müssen wissen, bitte nur
Weitere Kostenlose Bücher