Bruderdienst: Roman (German Edition)
einem Tablett, das Telefon, ein dickes Notizbuch, wahrscheinlich Telefonnummern und Adressen, ein Zeitschriftendurcheinander in einem eigenen Ständer. Dann die Frau – ganz sanft, ganz ruhig. Sowinski nahm an, dass der Arzt sie ein wenig hergerichtet hatte.
Plötzlich schrie Dehner: »Verdammte Scheiße, was machst du da? Du kannst dich doch nicht einfach so verpissen!«
Sowinski war sofort bei ihm und sagte: »Ist ja gut, Junge, ist gut!« Er nahm ihn in die Arme und hielt ihn lange fest.
Irgendwann löste sich Dehner von Sowinski, trat an die Wand, rutschte daran herunter, saß auf dem fleckigen Teppichboden und weinte.
»Ich gehe jetzt«, sagte Sowinski. »Kommen Sie, wann Sie wollen, wir sind immer da. Jederzeit.«
Müller landete nur zwei Stunden später als sein Kollege Thomas Dehner in Berlin und fuhr sofort in den Dienst. Er war dankbar, dass Krause zuerst mit ihm allein sprechen wollte.
»Nur kurz«, erklärte Krause beruhigend, als sei Beruhigung in diesen Zeiten besonders nötig. »Was ist das für ein Mann?«
»Er selbst ist sicher nur ein einfacher Mann, aber er ist gleichzeitig auch der Bruder eines sehr einflussreichen Mannes. Und zwischen den beiden scheint irgendetwas Schreckliches vorgefallen zu sein. Kim sagt, er hatte schon lange keinen Kontakt mehr zu seinem Bruder. Aber da müssen wir unbedingt nachhaken.«
»Kann er irgendetwas wissen, was uns interessieren könnte?«
»Ich bin mir nicht sicher. Auf den ersten Blick würde ich sagen, nein, aber er kann natürlich etwas von seinem Bruder, diesem Il Sung Choi, wissen.«
»Gut. Wir müssen an ihn ran. Heute Abend kümmern Sie sich um ihn. Aber ab morgen müssen wir ihn befragen, wir dürfen keine Zeit mehr verlieren. Und ich will wissen, warum er auf der Insel war und nicht sein Bruder. Irgendein schwieriger Punkt?«
»Ja, durchaus. Er hat Angst vor der Freiheit. Und er ist ganz stark auf mich fixiert. Ich habe ihm versprochen, dass ich ihn nach Südkorea zurückbringen werde, wenn er das möchte. Und ich werde mein Wort nicht brechen, wenn es nicht unbedingt sein muss.«
»Einverstanden. Aber Sie sollten wissen, dass sein Bruder, dieser Choi, dabei war, als eine Konferenz zwischen Nordkoreanern und der CIA gelaufen ist. Im März vor einem Jahr, ein Irrtum ist ausgeschlossen. Und jetzt bringen Sie Kim in diese Wohnung.« Er legte einen Schlüssel mit einem kleinen Schildchen vor Müller auf den Schreibtisch. »Und vielen Dank, Sie waren wirklich gut.« Dann lächelte er kurz. »Noch eine Frage: Warum sind Sie eigentlich nicht allein in das Hotel gegangen, um auszuchecken? Warum haben Sie den Mann mitgenommen?«
»Er war panisch vor Angst, ich konnte ihn nicht allein lassen. Ist Svenja in Berlin?«
»Ja. Und sie hat sich dauernd nach Ihnen erkundigt. Sie müssen auch keine Bauchschmerzen haben, wenn Sie nach Svenja fragen. Ich bin durchaus auch mit Gefühlen vertraut.«
»Dann würde ich gern noch wissen, wie es Ihrer Frau geht.«
»Ihr wurde eine Brust amputiert, das war schlimm, aber ich habe meine Frau hoffentlich bald wieder.«
»Das hoffe ich auch«, sagte Müller. »Noch etwas anderes: Ich brauche bei nächster Gelegenheit eine neue Wohnung. Kann der Dienst mir dabei helfen?«
»Ja. Ach ja, richtig, Sie wohnen ja immer noch in der alten Behausung. Da lässt sich bestimmt was machen. Und nun ab mit Ihnen, ich habe zu tun.«
Als er auf dem Flur stand, dachte Müller, dass Krause ein perfekter Vater war. Im Grunde viel besser, als sein eigener Vater es je hatte sein können. Dann fiel ihm unvermittelt seine Mutter ein und dieses Gespenst namens Harry. Es ist sehr schwierig, sie alle erwachsen zu kriegen, dachte er mit einem Grinsen.
Kim wartete in seinem Büro auf ihn.
»Wir können gehen«, sagte Müller. »Wir fahren jetzt in die Wohnung, die mein Dienst dir spendiert, bringen dich dort unter. Jeder von uns schläft ein paar Stunden, und morgen gehen wir einkaufen und deinen Kühlschrank füllen.«
»Eine eigene Wohnung? Aber das geht doch nicht. Hast du nicht ein zweites Bett in deiner Wohnung?«
»Habe ich nicht. Alle unsere Gäste bekommen eine kleine Wohnung. Komm, sei ein bisschen kooperativ, sei höflich. Wir kaufen auch eine Flasche Wein und trinken sie zusammen ganz langsam aus. Zur Feier deiner Ankunft in Berlin.«
»Du bist verrückt.«
»Ja«, nickte Müller. »Ich war gerade bei meinem Chef, der dich willkommen heißt. Du wirst ihn morgen kennenlernen. Und ich muss dir etwas sagen, was du gar
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