Bruderdienst: Roman (German Edition)
Krankenhauses. Er sagte: »Sie können sich Zeit lassen«, womit er im Grunde sich selbst meinte.
»Auch mal wieder da?«, fragte ihn eine Krankenschwester auf dem Flur, und er hob wortlos und linkisch die Schultern.
Dann nahm er hinter sich eine Bewegung wahr. Er drehte sich um und sah, wie sich die Krankenschwester zu einem Mann im weißen Kittel beugte. Er hörte sie flüstern: »Ich sollte Ihnen Bescheid geben, wenn er kommt. Das da ist er.«
Der Weißkittel nahm Tempo auf, näherte sich Krause mit ausgestrecktem Arm und sagte eifrig: »Haben Sie in paar Minuten Zeit für mich?«
Krause dachte: So machen sie es immer, sie strahlen diese mitfühlende Herzlichkeit aus, erschlagen dich fast damit. Und dann sagen sie dir, dass leider alles zu spät ist.
»Selbstverständlich«, antwortete er.
»Dann darf ich Sie in mein Büro bitten.«
Krause wusste nicht einmal, wie der Arzt hieß.
Der Mann eilte mit ganz kleinen Schritten vor ihm her und wirkte dabei wie ein beflissener Oberkellner, der ihn an den richtigen Platz geleiten wollte.
»Es ist mir wirklich wichtig, ein paar Minuten Ihrer Zeit zu bekommen, Herr Doktor Krause.« Er öffnete eine Tür, auf der nur SAUER stand, ließ Krause vorgehen, schloss die Tür hinter sich und erklärte: »Wissen Sie, ich kriege die Daten meiner Patienten so einfach auf den Tisch geknallt und muss damit fertig werden. Bei Ihnen fiel mir Ihr hoher militärischer Rang auf und dazu der Doktortitel. Und da frage ich mich doch: Was steckt dahinter?« Er wies auf einen Sessel vor dem Schreibtisch, trippelte selbst um den Schreibtisch herum und setzte sich. Er war um die fünfzig und vermutlich der Professor der Abteilung. Seinen runden Kopf zierte ein Kranz weißer Haare, er wirkte leicht unrasiert und trug eine kleine Wampe vor sich her.
»Haben Sie Metastasen gefunden?«, fragte Krause direkt.
Der Mann war augenblicklich fröhlich. »Oh, nein, nein, nein, mein Lieber. Wir haben sozusagen gar nichts gefunden. Aber das nur nebenbei. Sagen Sie, tun Sie Dienst in der Bundeswehr?«
»Nein«, antwortete Krause.
Sie hat Glück, sie hat unverschämtes Glück. Und ich natürlich auch. Und wenn dieses Arschloch mich nicht bald gehen lässt, werde ich handgreiflich. Wenn er noch einmal sagt: Das nur nebenbei, kriegt er von mir eins aufs Maul.
»Und woher und worüber dieser Doktor?«
»Über den Einfluss Hegels auf die philosophischen Denkweisen dieser Zeit. Aber das ist sehr lange her, das ist schon Geschichte. Wie geht es meiner Frau?«
»Ich würde sagen gut. Wir hatten sie heute in der Röhre. Sehr gründlich. Wie gesagt, keine Metastasen, nix. Wir werden ihr raten, die linke Brust zu amputieren, vorsichtshalber, aber damit müsste dann alles in Ordnung sein. Sie weiß es noch nicht, ich wollte erst mit Ihnen sprechen. Sagen Sie, das würde mich nun wirklich interessieren: Wie kommt man denn in Ihren Kreisen an Hegel?«
Krause war nahe dran, eine obszöne Bemerkung zu machen, hielt sich aber zurück. »Ich habe mich für den lieben Gott interessiert, da kommt man an Hegel nicht vorbei.« Er stand auf und reichte dem Mann über den Tisch hinweg die Hand. »Sie haben mich ausgesprochen glücklich gemacht«, sagte er, drehte sich herum und rannte fast zur Tür.
»Alles Gute, Herr Doktor!«, brüllte der Mediziner ihm nach.
Krause klopfte schüchtern, als wolle er sie nicht wecken, stieß dann die Tür auf und sagte mit ausgebreiteten Armen: »Es ist alles gut. Keine Blumen, aber eine gute Nachricht. Sie haben nichts mehr gefunden.«
Sie hatte ein ganz kleines Gesichtchen und wirkte sehr zerbrechlich. Sie antwortete nicht, schniefte nur ein wenig und suchte unter ihrem Kissen nach einem Taschentuch.
»Setz dich hierher auf das Bett. Du siehst müde aus«, sagte sie nach einer Weile.
Bevor sie in das Krankenhaus eingeliefert worden war, hatte sie sich die Haare dunkelrot färben lassen, um – wie sie trocken erwähnte – dem Teufel Angst einzujagen. Jetzt wirkte es so, als habe sie einen sehr roten Igel auf dem Kopf.
Krause setzte sich in den Halbkreis, den ihr auf der Seite liegender Körper formte. Er sagte: »Ich habe eben mit jemandem gesprochen, der Ahnung zu haben scheint. Er sagte mir, es gebe keine Metastasen. Sie werden mit dir sprechen, und sie machen einen zufriedenen Eindruck. Mein Gott, Wally, ich bin so froh.«
»Ich habe gedacht: Nun geht es dahin«, sagte sie erstaunt.
»Keine Chance!«, erwiderte er schnell. Er hatte die Hände vor dem Bauch gefaltet
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