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Bruderdienst: Roman (German Edition)

Bruderdienst: Roman (German Edition)

Titel: Bruderdienst: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jacques Berndorf
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»sehr einsam.« In ihrem Kopf hämmerte der Gedanke: Er will wieder rein, er will mich losschicken.
    Krause konnte ihr die Befürchtung vom Gesicht ablesen und schenkte ihr ein schnelles Lächeln. »Nein, ich will Sie nicht wieder hineinschicken. Ich war auch vor einem Jahr nicht derjenige, der Sie losgeschickt hat. Sie haben also einen Mann herausgeholt …«
    »Ja, einen nordkoreanischen Physiker, von dem wir anfangs nicht einmal einen brauchbaren Namen hatten. Ich habe ihn Cheng genannt, sein voller Name war Chen Jung Gen. Er war fünfundfünfzig Jahre alt und sehr freundlich. Wir taten so, als sei ich seine Tochter. Er war das Ziel. Ich war an seiner Auswertung später nicht beteiligt. Unsere Vettern in Amerika haben das gemacht. Er wohnte in der Gegend von Musan. Das ist ein kleines Städtchen hoch im Nordosten, im Gebirge. Er lebte dort allein in einem kleinen Holzhaus. Sein Job war getan, er hatte beim Aufbau der atomaren Anlage geholfen, er wusste alles über das Programm der Regierung, und er wurde natürlich ständig überwacht. Er saß wie ein Tier in der Falle. Ich weiß nicht genau, warum er bereit war zu reden. Er erzählte mir, seine Frau sei gestorben und seine Tochter habe geheiratet. Er sei allein und habe keine Lust mehr zu leben. Es gab Phasen, da war er hoch depressiv. Nach ein paar Tagen nannte ich ihn für mich meinen Sancho Pansa, weil er sich so rührend bemühte, Witzchen zu machen und dem Leben trotz allem eine komische Seite abzugewinnen. Aber es war nicht komisch.«
    »Ich habe gehört, er hat sich das Leben genommen.«
    »Ja, das ist richtig, aber das geschah erst, nachdem ich ihn übergeben hatte und er eigentlich frei war. Von offizieller Seite habe ich nichts davon erfahren, es ging mich auch nichts an. Er hat sich in San Francisco vom Dach eines Hotels gestürzt. Er war so völlig ohne jede Hoffnung.«
    »Es sollte wohl eine schnelle Aktion werden.«
    »Ja, so war es gedacht. Aber so lief es nicht. Ich ging schwarz über die Grenze, erreichte erst nach fünf Tagen sein Haus …«
    »Wie geht man denn dort?«, fragte Krause. Dann fühlte er sich bemüßigt, den Hintergrund für dieses Gespräch zu erklären. »Ich habe überhaupt keinen Bezug zu diesem Land, ich kann mir nichts vorstellen, weil mir die Basis fehlt. Deshalb stelle ich diese ganzen Fragen. Also, noch einmal: Wie geht man dort?«
    Sie dachte eine Weile nach. »Man muss alles vergessen, was man gelernt hat. Man hat kein Geld, weil man mit dem nordkoreanischen Won sowieso nichts kaufen kann. Jeder US-Dollar, jeder Euro würde einen verraten. Man zieht ohne Gepäck durch das Land, weil Gepäck auffällt. Man hat nichts bei sich, kein Geld, keine Kleidung zum Wechseln, keine Seife, kein Handtuch, und wenn man seine Tage kriegt, muss man sehen, wie man ohne alles klarkommt. Ja, einen Kamm hatte ich. Im Müll gefunden.« Sie lächelte mit einem bitteren Zug um den Mund. »Es war April, und es war lausig kalt, und nach vier Tagen war ich dreckig wie ein Straßenköter. Man bewegt sich in Schleifen, macht Zickzackbewegungen, fährt zwanzig Kilometer in die falsche Richtung, bloß weil da ein Lastwagen verkehrt, der einen mitnimmt. Am schlimmsten sind die Leute in den abgelegenen kleinen Bauernhöfen. Sie sind einfach gierig auf jede Information, sie starren einen an, als wäre man eine unwirkliche Erscheinung, sie flüstern ständig hinterm Rücken, und weil man die Sprache bis auf ein paar Brocken nicht beherrscht, ist man ihnen völlig ausgeliefert. Wenn man Glück hat, darf man im Stall bei der Ziege schlafen, aber man schläft keine Sekunde, bis man am Morgen weiterzieht. Und niemals ist man sicher, ob sie einen nicht verraten. Und es passiert, dass der Bauer Lust hat und sagt: Wenn du dich weigerst, rede ich mit den Behörden. Und man kann die Straßen nur selten benutzen, Straßen sind Fallen, weil es da oben im Gebirge so wenige gibt. Man hat ständig Angst.«
    Krause sagte sanft: »Aber unter solchen Bedingungen kann man doch gar nicht … gar nicht arbeiten.«
    »Ja, ja, das ist richtig, das ist absolut richtig. Er … ich meine Cheng wäre auch leichter aus dem Land herausgekommen, wenn er einfach in Richtung Grenze gegangen wäre, allein, ohne mich. Die ganze Sache war schlecht vorbereitet, eigentlich überhaupt nicht, absolut unprofessionell … und wahrscheinlich habe ich nur überlebt, weil ich so wütend war.«
    Dann riskierte sie die Frage, die sie noch niemals formuliert hatte: »Haben Sie damals zugestimmt,

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