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Bruderdienst: Roman (German Edition)

Bruderdienst: Roman (German Edition)

Titel: Bruderdienst: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jacques Berndorf
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war.«
    »Also hattet ihr ein richtiges Vater-Tochter-Verhältnis, oder?«
    »Ja, das schon. Aber manchmal sah sie mich an, als sei ich nur ein armer Tropf, einer, der es nie zu etwas gebracht hatte, einer, der niemals so toll und groß und mächtig sein würde wie ihr Onkel.«
    »Hat sie das jemals gesagt?«
    »Nicht direkt. Aber sie hat mich einmal gefragt, warum denn mein Bruder mich nicht in den Erfolg mitgenommen habe. Es wäre doch so einfach gewesen, sagte sie, wenn er mir immer einen Platz in seiner eigenen Abteilung gegeben hätte. Sie hatte recht, aber ich hatte keine Antwort darauf. Ich habe gesagt, dass ich lieber meinen eigenen Weg gehen wollte.«
    »Fragte sie nach ihrer Mutter?«
    »Oh ja. Oft. Diese Mutter, die niemals auftauchte, war immer wieder ein Thema. Und manchmal wurde ich richtig wütend und erklärte ihr, ihre Mutter sei jenseits von Gut und Böse, einfach nur eine egoistische, oberflächliche Zicke, ein Mensch, den man nur verachten könne. Das ärgerte und beunruhigte sie sehr, und es war natürlich ein Anreiz für sie, noch weiter nach dieser Mutter zu fragen.«
    »Hat sie denn jemals von der Geschichte zwischen deiner Frau und deinem Bruder erfahren?«
    »Nicht von mir. Aber doch, ja. Ein Jahr später, als sie achtzehn war und mein Bruder sie von der Universität nahm, weil sie im Dienste unseres Volkes zur Botschafterin ausgebildet werden sollte.« Kim begann erneut zu weinen.
    Svenja setzte sich neben ihn und zog seinen Kopf an ihre Schulter.
    »Ich wollte dich nicht verletzen«, sagte sie leise. »Tut mir leid.«
    »Ich hätte es wissen müssen, ich hätte es vorausahnen können. Sie war schön, sie war so schön, dass sie selbst alten Männern den Atem raubte. Ich hatte meinen Bruder ja … ich weiß den Fachausdruck nicht, vielleicht könnte man sagen, ausspioniert …«
    »Ich verstehe«, murmelte Svenja.
    »Ja, ich hatte genug zusammengesammelt, um seine Macht zerstören zu können, ich hätte es zumindest versuchen müssen. Ich hätte es selbst dann versuchen müssen, wenn es meinen Tod bedeutet hätte. Aber ich kam wieder zu spät.«
    »Gab es denn gar keine Gerüchte über die Mutter? Immerhin war sie doch jahrelang die Geliebte des mächtigen Il Sung Choi gewesen.« Svenja stand auf und setzte sich wieder in den Sessel.
    »Es gab Gerüchte, natürlich. Deshalb fing Chang auch an, mich auszufragen. Und ich wurde immer hilfloser. Was sollte ich ihr denn antworten? Dass er mir alles genommen hatte, dass er ein brutaler Mensch war? Dass er ihre Mutter zur Geliebten genommen hatte und sie einfach wegwarf, als er ihrer überdrüssig wurde? Wenn ich so etwas auch nur geflüstert hätte, wäre das mein Todesurteil gewesen.
    Jedenfalls hörte sie eines Tages auf zu fragen. Und ich denke, da kannte sie zumindest den offiziellen Grund, warum ihre Mutter hingerichtet worden war. Sicher hat sie sich geschämt, eine solche Mutter zu haben. Jedenfalls war sie eine Zeit lang ruhig. Und in dieser Phase muss mein Bruder aufgetaucht sein. Ich weiß nicht, was er ihr eingeflüstert hat, ich weiß nicht, was er ihr über mich sagte, ich weiß nur, dass sie von einem auf den anderen Tag nicht mehr auf die Universität ging und auch aus dem Studentenheim verschwand, in dem sie gelebt hatte. Sie war einfach weg, verstehst du? Spurlos verschwunden. Später hieß es, sie besuche ab sofort die staatliche Diplomatenschule und sei nicht mehr zu erreichen. Nur mein Bruder konnte so etwas eingefädelt haben, das passt zu ihm. Und er hatte ja Augen im Kopf und sah, wie schön sie war.«
    »Was steht denn in Nordkorea auf Inzest?«
    »Die Todesstrafe.«
    »Und dann hast du entdeckt, dass sie in der ehemaligen Wohnung deiner Frau wohnte. Und dein Bruder besuchte sie.«
    »Frischfleisch«, sagte Kim tonlos.
    »Wie lange ging das denn?«
    »Bis zu dem Tag, an dem ich mein Land verließ. Also bis vor ein paar Tagen. Und ich höre ihn noch am Telefon: Du kannst sowieso nichts daran ändern, es ist nicht dein Leben, es ist ihr Leben, und du warst immer ein Verlierer. Gib endlich auf und hau ab, geh mir aus den Augen. Er benutzte das englische Wort Loser, und ich dachte zum tausendsten Mal: Ich muss dich einfach töten, ich kann nicht dulden, dass du weiterexistierst …«
    Svenja zuckte leicht zusammen, sie begriff instinktiv, dass ein Punkt erreicht war, an dem Kim etwas sagte, was bisher niemals Thema gewesen war. Sie durfte jetzt nicht drängeln. Keine schnelle Nachfrage! Keine erstaunten Augen!
    »Und hast du

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