Bruderdienst: Roman (German Edition)
paar Aufnahmen der amerikanischen Vettern von ihren Satelliten.«
»Kriegen wir da ein Muster zusammen?«, fragte Esser.
»Was wir haben, reicht nicht«, sagte Sowinski. »Sie geben die Aufnahmen nur zögerlich weiter. Und sie tragen auch weder Datum noch Uhrzeit. Erschwerend kommt noch hinzu, dass wir natürlich auch nicht genau angeben können, an welchem Tag um welche Uhrzeit wir Nordkorea angucken wollen. Wir wissen es einfach nicht.«
»Wer könnte helfen?«, fragte Krause.
»Wenn wir annehmen, dass Israel wie üblich eines der wahrscheinlichsten Ziele ist, können wir davon ausgehen, dass sie von den Amerikanern Aufnahmen bekommen, die genauer sind.« Esser wandte sich zu Krause und setzte hinzu: »Also Moshe oder einer seiner Leute.«
»Wir brauchen eine Dateneinengung, vorher hat es keinen Sinn, mit Moshe zu sprechen«, sagte Krause und spielte mit einem Lineal. »Und noch etwas«, fügte er an Esser gewandt hinzu, »wir müssen endlich in Erfahrungen bringen, wie genau eine solche Bombe transportfähig gemacht werden kann.«
Später am selben Tag ging über eine der nicht gesicherten Leitungen ein Anruf ein, den die Sekretärin lapidar mit »Schanghai hier« ankündigte, weil sie den Anrufer nicht identifizieren konnte. Seit rund achtundvierzig Stunden hatte das Sekretariat Anweisung, alle aus Fernost stammenden Anrufe gründlich abzuklopfen und gegebenenfalls direkt auf Krauses oder Sowinskis Apparat zu legen.
Es war eine weibliche jugendliche Stimme am Telefon, Krause schätzte, dass die Anruferin in den Zwanzigern war. Er sagte freundlich: »Wer immer Sie sind, guten Tag, oder vielleicht besser: guten Abend.«
»Ich bin Hilary«, sagte die Stimme. »Es ist Abend. Wir kennen uns nicht. Ich arbeite in Schanghai bei einer deutschen Firma, wir stellen Profilstahl her.«
»Und Sie haben einen Grund anzurufen«, sagte Krause.
»Ja, aber ich möchte Ihnen nicht meinen vollständigen Namen nennen.«
»Das ist kein Problem«, sicherte er zu. »Was kann ich für Sie tun?« Krause drückte auf einen Knopf, um sicherzustellen, dass das Telefonat aufgezeichnet und gleichzeitig mit hoher Geschwindigkeit festgestellt wurde, von wo genau die junge Stimme anrief. Wahrscheinlich lief dieser Anruf entsprechend der Entfernung über vierzig bis fünfzig zwischengeschaltete Modems, und wahrscheinlich würde die Zeit knapp werden. Er schrieb nur den Namen Hilary auf.
»Zuerst möchte ich fragen, ob ich tatsächlich mit dem Bundesnachrichtendienst spreche. Es geht um eine ziemlich heikle Angelegenheit.«
»Da kann ich Sie beruhigen. Ich bin sozusagen hier in Berlin der Bundesnachrichtendienst persönlich.« Er dachte erheitert: Wenn du wüsstest, mit wem du sprichst, würdest du bestimmt ein Autogramm haben wollen. Der Gedanke belustigte ihn so stark, dass er leise lachte.
»Lachen Sie etwa über mich?«
»Ja«, erwiderte er einfach. »Sie sprechen mit der Abteilung, die den angeblichen Verkauf der Atombombe untersucht. Reicht Ihnen das?«
»Ja. Also, es geht darum: Ich habe einen Freund aus Nordkorea. Jetzt lebt er hier, und er ist mein Partner im Betrieb.
Vor etwa vier Wochen waren wir zusammen an der chinesisch-koreanischen Grenze. Mein Freund ist vor zwei Jahren aus Nordkorea geflüchtet. Seine Schwester ist ebenfalls geflüchtet, aber sie arbeitet als Prostituierte nahe der chinesischen Stadt Yanji, das ist noch Grenzgebiet zu Nordkorea, eine sehr bergige Gegend.«
In diesem Moment lief ein schmales Sprachband über den Bildschirm seines Computers. Hilary Kaufmann, geb. 1980, Mannheim, studiert chinesische Sprachen, Deutsch, Spanisch, Englisch, Suaheli, jetzt Werbeabteilung Firma AMA, Profilstahl, Schanghai, Adresse bekannt.
»Seine Schwester ist genau genommen die Chefin eines Freudenhauses namens Morgensonne. Sie hat es gekauft oder so.« Sie schwieg.
»Also dort waren Sie mit Ihrem Freund vor vier Wochen. Und was hat das mit der Bombe zu tun?«
»Als wir dort waren und seine Schwester trafen, erzählte die uns, drei Tage vorher wäre ein Chinese mit einem amerikanischen Truck durchgefahren, der an der Grenze nicht anhielt, sondern mit Vollgas durchzog, und die Grenzer auf beiden Seiten ließen ihn einfach durch, obwohl er zwei Schlagbäume kaputt fuhr. Sie sagte, dass der Truck oft die Grenze passiert, aber dass er die Schlagbäume umfährt, sei das erste Mal gewesen. Anscheinend waren aber alle Grenzbeamten auf beiden Seiten bestochen, sodass sie die Hände gehoben haben und den Truck grüßten,
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