Bruderdienst: Roman (German Edition)
haben nichts als dieses bizarre Zeug.«
»Und warum hat unser australischer Bruder dir das erzählt?«
»Er hat gesagt, weil es ihm noch nirgendwo auf der Welt so gut gefallen hat wie hier bei uns in Berlin.« Sowinski grinste.
»Ist da etwas gelaufen, wovon ich keine Kenntnis habe?«
»Nicht die Spur«, versicherte der Operationschef. »Sie haben nur bei mir zu Hause geschlafen.«
Müller hatte Svenja nicht zum Flugplatz gebracht. Sie wollte es nicht, weil sie nach eigener Aussage bei jedem Abschied hoffnungslos sentimental wurde. Stattdessen hatte er einen Mann von der deutschen Residentur getroffen und ihm Svenjas Waffe und Munition übergeben sowie das Dossier, um es mit dem nächsten diplomatischen Kurier nach Berlin zu schaffen. In seinen Instruktionen war unmissverständlich festgelegt worden, dass an diesem Tag, ebenso wie an den folgenden drei Tagen, der Einsatz beginnen könne. Müller sagte am Empfang Bescheid, dass er im Haus sei und man ihn bitte aufrufen möge, falls eine Nachricht käme.
Dann kaufte er einige englischsprachige Zeitungen und ging in das Hallenbad, in dem junge Familien mit ihren Kindern herumtollten. Er fand eine etwas stillere Ecke und legte sich auf seine Handtücher.
Die Bombe war nach wie vor Hauptthema auf Seite eins, und nach wie vor bestand offensichtlich ein hoher Bedarf an wilden Geschichten um mögliche Spuren oder Hinweise zu der Waffe. Nordkorea schwieg weiterhin eisern, gab nichts zu, dementierte nicht. Aus Washington kam die Nachricht, zwei Flugzeugträger seien unterwegs. Es gab ausführliche Vorstellungen von irgendwelchen obskuren Sehern und Schamanen, die ziemlich genau zu wissen schienen, wo die Bombe war, wenngleich sie sich doch lieber nicht festlegen mochten. Eine Seherin aus Hollywood, die ihr ganzes Leben lang all die Schönen und Reichen bedient hatte, verkündete in einem Interview energisch, man werde noch an sie denken, denn es sei vollkommen klar, dass die Bombe längst im Keller des Weißen Hauses ihre vorläufige Ruhe gefunden habe und hochgehen würde, sobald der Präsident die nächste große amerikanische Illusion von sich gebe. Ein Hassprediger von den Philippinen wurde ausführlich zitiert. Er war der Meinung, dass so etwas wie der Verkauf der Bombe zwangsläufig geschehen musste, denn nun würden die Nationen der sogenannten freien westlichen Welt mit ihren uralten Todsünden der Kreuzzüge konfrontiert und hätten sich endlich zu verantworten. Ein alter Bauer aus der Toskana wusste zu berichten, dass er das Schlafzimmer des gegenwärtigen Papstes in einem Traum deutlich vor sich gesehen habe, woraus er schloss, dass man die Bombe benutzen wolle, um den Vatikanstaat in den Himmel zu blasen. Hier und da fand man auch einen Kommentar ganz normal arbeitender Journalisten, die es riskierten, daran zu zweifeln, dass man die Bombe überhaupt jemals finden würde, wo doch der Verkauf noch nicht einmal bewiesen war. Der amerikanische Präsident äußerte kurz angebunden, er sei in jeder Sekunde bereit, militärisch zu reagieren.
Müller schwamm ein paar Bahnen, tauchte lange Strecken, spielte ein wenig Ball mit zwei kleinen Jungen, kaufte ihnen ein Eis, plauderte über Belangloses mit den Eltern, legte sich dann wieder auf seine Handtücher, las weiter in den Zeitungen – und wartete. Einer seiner Ausbilder hatte einmal gesagt: Der vor Ort arbeitende Agent hat über lange Zeiträume hinweg nur einen wirklichen Feind: die Langeweile.
Später ging er in einem der Restaurants im Haus zum Essen, zog sich dann früh in sein Zimmer zurück und hockte sich an den kleinen Schreibtisch. Auf dem Briefpapier des Hotels schrieb er, wieder einmal, einen Brief an seine Tochter.
Liebe Anna-Maria,
ich versuche jetzt seit einem halben Jahr, Dir einen Brief zu schreiben. Aber jedes Mal, wenn ich ein paar Zeilen geschrieben habe, finde ich den Brief nicht gut und werfe ihn weg. Dabei schreibe ich Dir nicht einmal, um den Brief dann in den Postkasten zu werfen, damit Du ihn in ein paar Tagen hast. Vielmehr will ich die Briefe sammeln und sie Dir geben, wenn Du etwas älter bist, vielleicht vierzehn oder sechzehn.
Du bist jetzt sieben Jahre alt, gehst schon zur Schule, und ich finde, ich muss Dir einiges von mir erzählen, damit Du weißt, wer ich überhaupt bin, wo ich arbeite, was ich arbeite und wie meine Tage so verlaufen. Wir leben beide in derselben Stadt, aber wir leben nicht zusammen, weil Deine Mutter und ich uns getrennt haben und uns
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