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Bruderherz

Titel: Bruderherz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Blake Crouch
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Erstes das krächzende Geräusch eines Laubbläsers. Ich stieg aus und schlug die Tür zu.
    Auf der anderen Straßenseite saß ein alter Mann in einem Sessel auf der Veranda, rauchte Pfeife und schaute einer Gruppe von Jugendlichen zu, die mit dem Gebläse das Laub von seinem Rasen zu einem großen braunen Haufen auftürmten. Er winkte mir zu und ich winkte zurück. Mr Harrison. Wir waren zwölf, als wir herausfanden, dass du den Playboy abonniert hattest. Wir klauten dir drei Monate lang das Heft. Haben jeden Tag, wenn wir aus der Schule kamen, deinen Briefkasten kontrolliert. Im vierten Monat hast du uns erwischt. Hast eine Woche lang hinter den Gardinen gestanden, um die Diebe auf frischer Tat zu erwischen. Kamst aus dem Haus geschossen, um uns zu unserer Mutter zu schleifen, bis dir einfiel, dass sie dann merken würde, was für ein schmutziger alter Mann du bist. »Nun, ihr habt doch schon drei!«, hast du gerufen. Dann hast du flüsternd hinzugefügt: »Ich lege sie auf meine hintere Veranda, wenn ich sie durchhabe. Was haltet ihr davon? Schließlich bezahle ich dafür, also will ich auch was davon haben.« Uns war’s recht.
    »Hey!«, rief ein Mann, der mit einem grauen Honda mitten auf der Straße angehalten hatte. Ich trat vom Bordstein hinunter und ging auf das Auto zu.
    »Kann ich Ihnen irgendwie helfen?«, fragte ich. Ich schätzte ihn auf sechs- oder siebenundzwanzig. Sein Haar war sehr dunkel und sein schmales Gesicht zart und weiß. Im Innern seines Autos stank es nach Windex. Ich mochte seine Augen nicht.
    »Sind Sie Andrew Thomas?«, fragte er. Das alte Spiel.
    Seit dem Erscheinen meines ersten Romans zählte ich, wie oft ich erkannt wurde. Da Pressekonferenzen, Literaturveranstaltungen und andere öffentliche Auftritte nicht mitzählten, war dies das dreiunddreißigste Mal.
    Ich nickte. »Nicht zu fassen. Ich lese gerade Ihr Buch. Ähm, die Angst – nein, ach, ich weiß genau, wie es heißt…«
    »Die Angst, zu leben.«
    »Genau. Es ist einfach super. Ich hab’s sogar dabei. Würden Sie vielleicht, ähm…«
    »Möchten Sie, dass ich es signiere?«
    »Würden Sie das tun?«
    »Gerne.« Er griff hinter den Beifahrersitz, kramte mein neuestes Buch hervor und reichte es mir. Ich schätze, ich sehe so aus, als hätte ich stets einen Stift bei mir. Manchmal war es enttäuschend, seine Fans zu treffen. »Haben Sie einen Stift?«, fragte ich.
    »Oh, Mist!, nein… warten Sie.« Er öffnete das Handschuhfach und holte einen kurzen, stumpfen Bleistift hervor. Er hatte vor kurzem Minigolf gespielt. Während ich den Stift nahm, blickte ich auf den Schutzumschlag von »Die Angst, zu leben« – ein bösartig grinsendes Gesicht verzehrt von Flammen. Ich war von diesem Titelbild nicht sonderlich begeistert gewesen, aber was der Autor darüber denkt, interessiert niemanden.
    »Soll ich es einfach signieren?«, fragte ich.
    »Würden Sie… ich meine, könnten Sie vielleicht eine Widmung für meine Freundin hineinschreiben?«
    »Klar.« Sagst du mir, wie sie heißt, oder muss ich danach fragen?… Ich muss fragen. »Wie heißt sie?«
    »Jenna.«
    »J-E-N-N-A?«
    »Ja.« Ich legte das Buch auf das Autodach und schrieb eine meiner drei Standardwidmungen hinein: Für Jenna – mögen deine Hände zittern und dein Herz laut pochen. Andrew Z. Thomas. Ich klappte das Buch zu und reichte es ihm zurück. »Sie wird total begeistert sein«, sagte er und legte wieder einen Gang ein. »Vielen, vielen Dank.« Ich schüttelte seine kalte, dünne Hand und schritt über den Bordstein wieder auf den Rasen.
    Während er wegfuhr, ging ich über den ungemähten Rasen auf die Haustür meiner Mutter zu, dabei fuhr eine Windböe durch die Bäume und streifte meinen Rücken. Der Morgenhimmel war von dicken Wolken verhangen, die in den kommenden Monaten vermutlich Schnee mit sich bringen würden. In der Mitte des Rasens leuchtete vor dem aschegrauen Oktoberhimmel ein Silberahorn in allen Farben des Feuers.
    Je näher ich dem Haus kam, desto trostloser wirkte es. Laub verstopfte die Regenrinnen, die an einigen Stellen kaum mehr am Dach hingen. Die Holzverkleidung war aufgequollen und die Farbe blätterte ab. Selbst der Vorgarten hatte sich in einen Urwald verwandelt, und ich hegte nicht den geringsten Zweifel, dass Mutter den Gärtner wieder gefeuert hatte, den ich für sie bestellt hatte. Sie hatte wütend und stur jedwede finanzielle Unterstützung abgelehnt. Nachdem »Der Mörder und seine Waffe« nach Hollywood verkauft worden war,

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