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Bruderherz

Titel: Bruderherz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Blake Crouch
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gesehen?«
    »Klar.«
    Er holte eine Packung Marlboro Lights aus seinem braunen Regenmantel und schob sich eine Zigarette zwischen die Zähne. Aus einer Tasche meines blauen Regenmantels zog ich ein Gasfeuerzeug und reichte es ihm. »Danke«, sagte er, blies eine Rauchwolke aus dem Mundwinkel und gab mir das Feuerzeug zurück. »Die Presse ist völlig ausgerastet«, meinte er. »Der Ehrgeiz steht ihnen ins Gesicht geschrieben. Ich wette, die hatten ‘nen Orgasmus, als sie den Tipp bekommen haben.«
    »Du glaubst also, sie haben einen Tipp bekommen?«
    »Klar, natürlich. Wer auch immer diese Kartons dort hingestellt hatte, wusste genau, was er tat. Vermutlich hat er direkt danach ein Dutzend Zeitungen und Fernsehsender informiert. Ich wette, er hat ihnen gesagt, dass hinter dem Weißen Haus eine Bombe liegt. Dann hat diese Joggerin 911 gewählt und die Geschichte bestätigt und bum… das Medienereignis des Jahres.« Walter nahm einen tiefen Zug von seiner Zigarette und redete weiter, als sich der Rauch aus seinem Mund kräuselte. »Ja, der Einzige, der über diese Herzen noch glücklicher ist als die Presse, ist dieses kranke Arschloch, das sie da abgestellt hat. Der sitzt jetzt wahrscheinlich gerade vor dem Fernseher, holt sich einen runter und sieht zu, wie sich die ganze Nation sabbernd das Maul darüber zerreißt, wie er…«
    »Es war Orson«, unterbrach ich ihn. Walter zog wieder an seiner Zigarette und versuchte, ausdruckslos dreinzublicken.
    »Woher weißt du das?«, fragte er und hustete beim Ausatmen leicht.
    »Er bewahrt die Herzen auf. In seiner Hütte in Wyoming stand eine Gefriertruhe, die war voll damit. Es sind seine Trophäen, seine kleinen Andenken.«
    »Andy…«
    »Nur eine Minute, hör mir zu, Walter.«
    Eine Welle ließ unsere Boote aneinander schlagen und ein Regentropfen traf mein Gesicht.
    Wie sagt man einem Mann, dass man seine Frau und seine Kinder in Gefahr gebracht hat?
    »Das Ding in Washington ist noch gar nichts«, erklärte ich. »Meine Mutter ist tot. Orson hat sie gestern Abend stranguliert. Er hat es auf Video aufgezeichnet… Es ist…« Ich unterbrach mich, um wieder ruhiger zu werden. »Es tut mir Leid. Aber ich glaube, ich habe dich in Gefahr gebracht.« Sein Kopf neigte sich fragend. »Ich weiß nicht wieso, aber Orson weiß oder vermutet zumindest, dass ich dir von der Wüste erzählt habe.«
    »O Gott!« Walter schnippte seine Zigarette ins Wasser, wo sie zischend verlosch, und schlug die Hände vors Gesicht.
    »Ich hätte dir nie etwas davon erzählen…«
    »Du hast verdammt Recht, das hättest du nicht tun sollen.«
    »Sieh mal…«
    »Was hat er gesagt?«
    »Walter…«
    »Was zum Teufel hat er gesagt?!« Seine Stimme hallte über den See. Ein Fisch hüpfte ganz in der Nähe übers Wasser.
    »Die genauen Worte spielen…«
    »Halt’s Maul!« Er wischte sich die Tränen aus dem Gesicht. »Was hat er gesagt?« Ich schüttelte den Kopf. »Hat er meine Familie erwähnt?« Als ich nickte, schossen mir zum ersten Mal an diesem Tag Tränen in die Augen. »Er hat meine Familie erwähnt?« Walter hyperventilierte.
    »Es tut mir so…«
    »Wie konnte dir das passieren, Andy?«
    »Ich wollte nicht…«
    »Was hat dein Bruder gesagt? Ich will jedes Wort, jede Silbe hören, und wag nicht, zu sagen, der Wortlaut spielt keine Rolle. Los, sag es mir!!«
    »Er hat gesagt, weil ich meinen Mund nicht halten könne…« Ich schloss die Augen. Ich will sterben.
    »Los, sprich den Satz zu Ende!«
    »… zieht er es in Betracht, dir einen seiner Freunde vorbeizuschicken. Dir und deiner ›wundervollen Familie‹.«
    Walter drehte sich um und schaute zu seinem Steg und seinem Haus, das hinter orangeroten Blättern verborgen lag. Es nieselte inzwischen, daher zog ich die Kapuze meines Regenmantels über. In meinem Boot stand das Wasser zwei bis drei Zentimeter hoch.
    »Wer ist dieser Freund?«, fragte er.
    »Keine Ahnung.«
    »Ist das…« Er hyperventilierte erneut.
    »Walter, ich werde mich darum kümmern.«
    »Wie?«
    »Ich werde Orson töten.«
    »Dann weißt du also, wo er steckt?«
    »Ich habe so eine Ahnung.«
    »Gib dem FBI einen Tipp.«
    »Nein. Orson kann mich immer noch ins Gefängnis bringen. Und ich werde nicht ins Gefängnis gehen.«
    Unsere Boote schaukelten auf dem aufgewühlten Wasser. Mir wurde übel.
    »Falls ich Orson ausfindig mache«, fragte ich, »kommst du dann mit mir?«
    »Um dir dabei zu helfen, ihn zu töten?«
    »Ja.«
    Er lachte sarkastisch. »Ist das dein Ernst?

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