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Bruderherz

Titel: Bruderherz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Blake Crouch
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Ich hob sie auf und blickte dabei über die Schulter in den Flur über mir und in die Eingangshalle. Es bewegte sich immer noch nichts. Ich wollte mein Arbeitszimmer und die drei Gästezimmer auf der ersten Etage durchsuchen, aber mir fehlte die Ruhe dazu, da er nach wie vor reglos in einem versteckten Winkel darauf lauern konnte, dass ich blind an ihm vorbeistolperte.
    Ich kehrte zur Stereoanlage und dem Heimkino zurück, legte die Kassette in meinen Videorekorder und schaltete den Fernseher ein. Ich setzte mich aufs Sofa, um gleichzeitig den Bildschirm und den größten Teil des Wohnzimmers im Blick zu haben:
    Der Bildschirm ist erst blau, dann schwarz. In der rechten unteren Ecke tauchen Datum und Uhrzeit auf: 30.10.96, 11:08. Das ist heute. Beziehungsweise inzwischen gestern.
    Ich höre eine Stimme, dann zwei Stimmen, so leise und undeutlich, dass ich die Lautstärke höher drehe.
    »Möchten Sie, dass ich es signiere?… Würden Sie das tun?… Gerne… Haben Sie einen Stift?… Oh, Mist!, nein… warten Sie… Soll ich es einfach signieren?… Könnten Sie… ich meine, würden Sie eine Widmung für meine Freundin hineinschreiben?… Klar… Wie heißt sie?… Jenna… J-E-N-N-A?… Ja… Sie wird total begeistert sein. Vielen Dank.«
    Der Bildschirm ist immer noch schwarz, das Geräusch eines Automotors lässt den Fernseher vibrieren, dann sind die ersten Bilder zu sehen – durch die Heckscheibe eines fahrenden Autos und aus einiger Entfernung ich selbst, wie ich die Stufen zu Mutters Haus hinaufgehe. Dann ist der Bildschirm wieder schwarz und stumm.
    Immer noch der 30.10.96, es ist jetzt 11:55. Das Bild zeigt einen langsamen Kameraschwenk durch einen dunklen Raum. O Gott! Betonwände, Zementboden. Doch die Gegenstände in dem Raum lassen keinen Zweifel: zwei rote Fahrräder, ein kaputtes Trampolin, ein weißer Weihnachtsbaum aus Plastik, bergeweise Kartons und mehrere Schallplattenstapel – der kleine, fensterlose Keller im Haus meiner Mutter.
    Der Kameramann hält bei den vierzehn nach oben führenden Stufen inne und geht sie dann hinauf, wobei das Bild Schwindel erregend wackelt. Die erste Tür im Flur öffnet sich quietschend, dann zoomt die Kamera mein Gesicht heran, während ich schweigend auf Mutters Sofa sitze und auf den stummen Bildschirm starre. »So ein guter Sohn, der seine Mutter besucht«, flüstert er. Dann schließt der Kameramann die Tür und geht auf Zehenspitzen die Treppe wieder hinab.
    Nachdem Orson die Kamera auf einen Schallplattenstapel unseres Vaters gestellt hat, lässt er sich, die Treppe im Hintergrund, vor ihr nieder, und der Bildschirm wird wieder schwarz.
    Das Bild kehrt aus dem gleichen Blickwinkel im Keller zurück – 30.10.96, 19:25. Orson beugt sich zur Linse vor und flüstert: »Du hast gerade das Haus verlassen, Andy.« Er lächelt. Er trägt einen Arbeitsoverall, allerdings kann ich die Farbe in der spärlichen Kellerbeleuchtung nicht erkennen. »Ich möchte dich nicht beunruhigen, Andy«, flüstert er. »Diese Ich-bin-dir-auf-der-Spur-Masche ist nur vorübergehend. Während du dir diese Kassette in deinem Wohnzimmer gegen zwei Uhr morgens anschaust, bin ich in der Tat Hunderte Meilen von dir entfernt und fahre auf die Hauptstadt dieser wunderbaren Nation zu. Und wenn ich dort fertig bin, tauche ich wieder für eine ganze Weile in der gesichtslosen Masse unter.« Orson niest zweimal.
    »Weil du deinen Mund nicht halten kannst, denke ich darüber nach, einen Freund bei Walter und seiner hübschen Familie vorbeizuschicken. Würde dich das stören? Ich glaube, du hast Luther bereits kennen gelernt.« Er lächelt. »Er ist ein Fan von dir.« Orson zieht ein Stück Draht aus der Tasche. »In einer Minute wird dir klar werden, dass du das alles auf Band hast. Nun, du hattest es auf Band. Denk daran. Sollen wir?« Orson nimmt die Kamera und flüstert weiter, während er die Treppe hinaufsteigt. »Die rasende Wut, die du fühlst, wird dich befreien, Andy. Sieh es aus dieser Warte. Ach, und noch ein Letztes – schalte morgen früh die Nachrichten ein.«
    Er öffnet die Tür zum Flur. Irgendwo im Haus singt meine Mutter. Orson schlägt die Tür zu, öffnet sie und schlägt sie erneut zu, bevor er die Treppe wieder hinuntereilt. Er stellt die Kamera zurück auf den Plattenstapel und bewegt sich aus ihrem Blickfeld hinaus ins Halbdunkel zwischen den unzähligen Kartons. Ich kann jetzt nur die Treppe und ein Stück der kahlen Betonwand sehen.
    Stille. Am oberen Ende der Treppe

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