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Bruderherz

Titel: Bruderherz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Blake Crouch
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Gesicht und trug einen Rucksack über ihrer gelben Regenjacke. Sie lächelte, als Orson sie in sein Zimmer bat und die Tür hinter ihr schloss.
    Ich ließ die Toilettentür zufallen und versank in der Dunkelheit. Mit geschlossenen Augen atmete ich tief durch, bis das Herzklopfen etwas abflaute.
    Plötzlich fiel mir etwas ein – beim Hinaufgehen der Stufen hatte ich einen roten Kasten mit der Aufschrift »Feuer« gesehen.
    Ich öffnete die Tür. Orsons Zimmertür war immer noch geschlossen, daher rannte ich den Flur entlang bis zur Treppe. Ich hielt vor dem an der Wand hängenden Feuermelder an und sah mich um. Inzwischen schien das einzige Licht aus Jacks Zimmer.
    Ich zog an dem weißen Griff und löste den Alarm aus.
    Zurück in der Herrentoilette, deren Dunkelheit nun von blinkenden Lichtern zerschnitten wurde, tastete ich mich zu einer Kabine durch und setzte mich auf die Kloschüssel. Die Tür zum Toilettenvorraum ging auf, jemand brüllte etwas, doch da alles dunkel und leer schien, wurde die Tür wieder geschlossen. Dreißig Sekunden später traute ich mich heraus.
    Der Flur war menschenleer, die meisten Türen standen offen und erhellten den Gang. Noch während die Alarmsirene heulte, rannte ich auf das Zimmer 209 zu. Leer. Ich stürmte hinein, schloss die Tür und ging zum Fenster. Draußen vor dem Eingang des Gebäudes hatte sich eine Menschentraube gebildet. Alle starrten verwundert nach oben und hielten Ausschau nach Rauch. Inzwischen schneite es in dichten Flocken, die auf dem Rasen liegen blieben, aber auf dem Pflaster langsam wieder schmolzen. Ich überlegte, wie lange es wohl bis zum Eintreffen der Feuerwehr dauern würde.
    Es gab keine Aktenschränke. Ich öffnete die unterste rechte Schreibtischschublade und fand darin lediglich Prüfungsbogen und Testformulare. Die Schublade darüber war voll gestopft mit Büromaterial – Kugelschreiber, Bleistifte, verschiedene Blöcke. In der mittleren Schublade befanden sich lediglich zwei Universitätsverzeichnisse und zwei Päckchen Karteikarten. Die Schubladen auf der linken Seite waren beide leer. Keine Trophäen. Keine Fotos. Doch das überraschte mich nicht. Er war zu vorsichtig, um hier etwas zu verwahren. Trotzdem hatte ich ganz sichergehen wollen.
    Auf dem Boden standen als Einzelteile ein Monitor, ein Rechner und eine Tastatur – eine alte Tandy 1000, die Buchstaben waren längst nicht mehr zu erkennen. Auf beiden Seiten des Fensters standen Bücherregale. Ich überflog die Titel, entdeckte aber nichts von Interesse. Historische Fachbücher, hauptsächlich zur Geschichte des Altertums. An der Wand gegenüber des Schreibtischs hing ein Poster von Athen und ein gerahmtes Foto, das Orson vor dem Kolosseum zeigte.
    Auf dem Schreibtisch fand ich einen Stapel ungeöffneter Briefumschläge. Drei der vier Umschläge trugen seine Universitätsadresse, auf dem anderen stand: 617 Jennings Road, Woodside. Ja. Ich schnappte mir einen Stift und ein Blatt Papier aus der Schublade und schrieb die Adresse ab. Dann warf ich noch einen zweiten Blick in die Schubladen, um sicherzugehen, dass ich nichts verändert hatte. Orson würde es merken.
    Die Feuersirenen verstummten. Ich steckte den Zettel mit der Adresse in die Tasche und öffnete die Tür. Im Flur war es immer noch ruhig, doch im Erdgeschoss konnte ich die Rufe und schweren Schritte der Feuerwehrmänner hören. Ich eilte nach rechts zu der Treppe, blickte nach unten – alles in Ordnung, und eilte die Stufen hinab. Im Erdgeschoss verschwanden gerade zwei Feuerwehrleute in unterschiedlichen Räumen. Ich entdeckte einen Seitenausgang, rannte zur Tür, eilte die Stufen hinab und über den schneenassen Rasen. Nach zwanzig Metern verlangsamte ich meinen Schritt und blickte über die Schulter. Immer noch wartete eine Menschenmenge vor dem Gebäude. Orson war einer von ihnen.
    Der Schneefall hatte nachgelassen; nur noch wenige, große, weiche Flocken fielen zur Erde. Heiter schritt ich über den weißen Rasen in Richtung Stadt. Bevor es dunkel wurde, mussten Walter und ich noch Orsons Grab schaufeln.

Kapitel 23
     
    Wir warteten bis etwa halb sieben, als der wolkenverhangene Himmel allmählich schiefergrau wurde. Ich fuhr den Cadillac auf den Highway 116, einer einsamen Strecke durch das unbewohnte Gebiet zwischen Woodside und Bristol. Im Tal lag nur noch wenig Schnee. Gegen Abend war die Temperatur wieder auf über null Grad angestiegen, daher war der nasse Schnee vom frühen Nachmittag nicht liegen

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