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Bruderherz

Titel: Bruderherz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Blake Crouch
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geblieben.
    Kiefern rauschten auf beiden Straßenseiten vorbei. Ich konnte sie sogar im Auto riechen – ihren klaren, bitteren Geruch. Wir fuhren an mehreren Parkbuchten und einem Campingplatz des Green-Mountains-Nationalparks vorbei. Doch ich hielt nach einem Landstrich Ausschau, wo niemals Menschen hinkamen. Die Campingplätze waren inzwischen leer, von dort waren die Wälder durch Wege erschlossen. Sollte es wieder wärmer werden, was zweifellos vor dem ständigen Frost im Winter noch einmal der Fall sein würde, dienten diese Pfade Spaziergängern und Hundeführern. Und ich hatte weder die Zeit noch die Kraft, ein wirklich tiefes Loch zu graben.
    Nach etwa zehn Minuten wurde der unbefestigte Straßenrand gut zwei Autolängen breit. Ich fuhr langsamer und bog von der Straße ab, bis die Reifen im matschigen Gras standen. Ich schaltete den Motor und die Scheinwerfer aus und blickte durch die Windschutzscheibe und den Rückspiegel. Der leere Highway verlief stur geradeaus in die Dunkelheit.
    »Glaubst du, dass es hier sicher ist?«, fragte Walter.
    »So sicher wie überall«, sagte ich und zog den Zündschlüssel ab.
    Ich öffnete die Tür und trat in das kalte, nasse Gras. Das Zuschlagen der Wagentüren hallte durch den Wald. Ich öffnete den Kofferraum, und beide nahmen wir uns einen Spaten und ein Paar Lederhandschuhe, damit die Hände nicht zu kalt und steif würden.
    Ich führte uns zurück zu den Bäumen. Wir gingen nicht sonderlich weit, denn in einer mondlosen Nacht würde es schwer werden, diese Stelle wiederzufinden. Wir würden Orson tragen müssen, und es würde schon schwierig genug werden, mit dieser Last zwischen den Bäumen hindurchzukommen. Von den weißen Kiefern tropfte geschmolzener Schnee; schon bald war mir so kalt, dass ich zitternd an den Kamin des Gasthofs dachte.
    Knapp vierzig Meter von der Straße entfernt blieb ich stehen. Die Bäume standen hier bereits so dicht, dass der Highway nicht mehr zu sehen war. Ich malte einen Pfeil in die Kiefernnadeln, der zur Straße hin zeigte. Falls wir hier im Wald die Orientierung verlieren sollten, würden wir vermutlich die ganze Nacht umherwandern und den Highway suchen.
    »Lass uns das Loch graben«, sagte ich und zeigte auf einen Erdfleck zwischen den Bäumen.
    Ich bohrte meinen Spaten durch die Kiefernnadeln und riss die weiche Erde darunter auf. Anfangs war die Arbeit schwierig, weil wir ganz steif vor Kälte waren, doch die körperliche Anstrengung trieb uns schon bald den Schweiß aus den Poren. In null Komma nichts spürte ich die beißende Kälte nur noch auf meinen geröteten Wangen.
    Wir markierten zunächst den Umriss. Dann gruben wir in die Tiefe und zu zweit hatten wir schnell sechzig Zentimeter ausgehoben. Als mir das Loch tief genug erschien, legte ich mich hinein und Walter berechnete, wie tief ein Tier wohl graben musste, um bis zu mir vorzudringen: Orson würde mehr als dreißig Zentimeter unter dem Waldboden liegen.
    Ich kletterte hinaus und klopfte mir den Dreck von der inzwischen feuchten und dreckigen Jeans. Walter lehnte sich gegen den Stamm einer roten Fichte und zündete sich eine Zigarette an. Im blauen Dunst verschwanden seine Gesichtszüge, doch ich merkte, dass er mich merkwürdig anstarrte, während die Tabakasche verglühte.
    »Was ist los?«, fragte ich, doch er schüttelte den Kopf. »Nein, sag schon.« Ich zitterte bereits wieder.
    »Wir werden tatsächlich einen Mann töten.«
    »Nicht einen Mann, Walter. Den Mann, der gedroht hat, einen Psychopathen auf deine Familie zu hetzen.«
    »Du fürchtest dich vielleicht nicht, Andy, aber ich mache mir vor Angst fast in die Hose. Ich habe letzte Nacht kaum geschlafen. Ich muss immerzu daran denken, was morgen alles schief laufen könnte. Er könnte uns entkommen. Uns töten. Vielleicht weiß er sogar, dass wir hier sind. Hast du daran mal gedacht? Er ist ein Psychopath und wir treiben Spielchen mit ihm.«
    Irgendwo in der Ferne knackte ein Zweig.
    »Tust du das hier nicht für deine Familie?«, fragte ich. »Wenn du Angst hast, dann denk an sie. Was es für ein Gefühl sein wird, diese Bestie, die Jenna bedroht hat, verblutet in diesem Loch hier liegen zu sehen.«
    Der Wald war Furcht erregend dunkel geworden.
    »Es wird womöglich hart morgen«, meinte ich. »Wir werden ihm vielleicht… gewisse Dinge antun müssen, wenn er uns nicht sagt, was wir wissen müssen. Bist du dazu bereit?«
    »Ich werde es sein.«
    Walter ging los in Richtung Highway. Ich hob meinen Spaten auf

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