Bruderkampf
Reise würde. Alle erwarteten, daß ein anderer zurückkehren und seinen Platz einnehmen würde. Aber in diesem ermatteten Körper lebte eine Seele aus Stahl. Rodney wollte keinen anderen die Früchte seiner harten, aufopferungsvollen Arbeit in Westindien ernten lassen, und ebensowenig sollte ein anderer die Schmach und Schande möglicher Niederlage erleiden.
»Nach unseren Nachrichten will de Grasse mehr als einen bloßen Sieg auf See erreichen«, erklärte Sir Samuel Hood unbewegt. »Er hat nicht nur französische Truppen zusammengezogen, sondern auch die amerikanischen Kolonialisten mit Waffen versorgt. Er ist ein gewiegter und umsichtiger Stratege, und zweifellos gedenkt er, die bereits erzielten Erfolge auszubauen.« Er blickte über die ihm Zunächststehenden hinweg und richtet seine tiefliegenden Augen auf Bolitho. »Der Kapitän der Fregatte Phalarope hat zu diesen Informationen in nicht geringem Maße beigetragen, meine Herren.«
Einige Sekunden lang drehten sich alle nach Bolitho um, den die unerwartete Beachtung leicht verwirrte. Undeutlich nahm er die unterschiedlichen Reaktionen der anderen Offiziere wahr.
Einige nickten anerkennend, während ihn andere mit kaum verhohlenem Neid musterten. Wieder andere studierten sein Gesicht, als versuchten sie, die tiefere Bedeutung der Bemerkung des Admirals zu ergründen. Ein kleines Lob von Hood – also vom großen Rodney gebilligt – kennzeichnete Bolitho als ernstzunehmenden Rivalen bei Beförderung und Auszeichnung.
Hood fügte trocken hinzu: »Jetzt, da Sie einander kennen, wollen wir fortfahren. Von heute an muß unsere Wachsamkeit erhöht werden. Unsere Patrouillen müssen jeden feindlichen Hafen beobachten und dürfen keine Mühe scheuen, mir ständig Meldung zu erstatten. Wenn de Grasse ausläuft, wird das schnell geschehen. Können wir seiner Herausforderung nicht mit den entsprechenden Mitteln begegnen und ihn zur Schlacht stellen, ist es aus mit uns, darüber muß sich jeder klar sein.«
Die tiefe Stimme dröhnte so durch die Kajüte, daß Bolitho das Gewicht der Worte fast körperlich fühlte. Unermüdlich und methodisch erläuterte der Admiral die bekannten Standorte von Versorgungsschiffen und feindlichen Einheiten. Man merkte ihm weder Anstrengung noch Ungeduld an, und nichts in seinem Verhalten verriet, daß er erst unlängst nach Antigua zurückgekehrt war, nachdem er St. Kitts lange gegen die gesamte militärische Kraft der Franzosen und der alliierten Flotte gehalten hatte.
»Ich wünsche, daß sich jeder von Ihnen gründlich mit meinem Signalcode vertraut macht«, schaltete sich Sir George Rodney ein. Er blickte scharf von einem zum anderen. »Ich werde nicht dulden, daß irgendein Offizier meine Signale mißversteht, und ebensowenig werde ich Entschuldigungen bei Nichtbefolgung gelten lassen.«
Mehrere Kapitäne wechselten schnelle Blicke. Jeder kannte die Geschichte: als Rodney versuchte, den französischen Amiral de Guichen vor Martinique zu stellen, gelang das nicht, weil einige seiner Kapitäne seine signalisierten Befehle nicht verstanden oder befolgt hatten und jeder wußte auch, wie scharf er darauf reagiert hatte. Mehr als ein Kapitän lebte nun, auf Halbsold gesetzt, mit Schande bedeckt und von bösen Erinnerungen geplagt, kümmerlich in England.
»Achten Sie auf meine Signale«, fuhr er in ruhigerem Ton fort. »Wo und auf welchem Schiff auch meine Flagge weht, achten Sie auf meine Signale!« Er lehnte sich zurück und blickte zu den Decksbalken hoch. »Diesmal gibt es keine zweite Chance. Entweder gewinnen wir einen großen Sieg, oder wir verlieren alles.«
Er nickte Hood zu, der wieder das Wort nahm: »Die Befehle werden den dienstältesten Offizieren des Geschwaders unverzüglich übermittelt. Von dem Augenblick an, da Sie die Kajüte verlassen, hat die Flotte klar zum Auslaufen zu sein.
Unsere patrouillierenden Fregatten und Korvetten haben die Aufgabe, wie Hunde vor den Schlupflöchern der Feinde zu lauern.« Er hieb mit der Faust auf den Tisch. »Stöbern Sie die Spur des Feindes auf, benachrichtigen Sie den Oberbefehlshaber, und die Jagd geht los!«
Beifallsgemurmel beschloß die Zusammenkunft. Leutnant Dancer sagte ungerührt: »Ob unser Geschwader dabei sein wird? Ich würde den Schlußakt gern miterleben.«
Bolitho nickte und lächelte insgeheim, weil er sich vorstellte, wie die winzige Witch of Looe de Grasses Dreidecker angriff.
Laut sagte er: »Es sind immer zuwenig Fregatten. In jedem Krieg die gleiche
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