Bruderkampf
Gesicht des an Bord kommenden Kapitäns. Bolithos Züge waren ruhig und ausdrucklos, doch die Blicke, die er über das Hauptdeck fliegen ließ, waren so kalt und rauh wie der Nordatlantik.
Vibart meldete steif: »Wasserleichter halten auf uns zu, Sir.«
»Ja, ich weiß.« Bolitho drehte sich nicht um, sondern starrte statt dessen auf die frisch geschrubbten Decks. Eine ruhige Atmosphäre der Ordnung und Bereitschaft. Nach einigen Sekunden sagte er: »Lassen Sie die Ladung gleich übernehmen.
Und sagen Sie dem Faßmeister, er soll Reservefässer bereitstellen.«
Herrick fragte vorsichtig: »Gehen wir wieder in See, Sir?«
Bolithos graue Augen blickten durch ihn hindurch. »Es scheint so.«
Vibart trat einen Schritt vor, seine Augen lagen im Schatten verborgen. »Das ist verdammt ungerecht, Sir.«
Bolitho gab keine Antwort, er schien ganz mit seinen Gedanken beschäftigt. Dann sagte er scharf: »Wir segeln in zwei Stunden, Mr. Vibart. Der Wind ist zwar nur schwach, reicht aber für meinen Zweck.« Er sah sich um, als Stockdale auf das Achterdeck trat. »Sag meinem Diener, ich möchte so bald wie möglich essen. Egal was.«
Herrick sah ihn verdutzt an. Bolitho war fast zwei Stunden fortgewesen, doch der Admiral hatte sich offenbar nicht die Mühe gemacht, ihm etwas anzubieten oder ihn zum Lunch einzuladen. Was, zum Teufel, dachte er sich dabei? Einen jungen, tapferen Offizier, der nicht nur Nachrichten aus England brachte, sondern darüber hinaus die Flotte verstärkte, hätte er wie einen Bruder willkommen heißen sollen.
Als er in der Messe das magere Essen hinuntergewürgt hatte, wäre er beinahe an jedem Happen erstickt, weil er sich vorstellte, wie Bolitho mit dem Admiral eine Mahlzeit verspeiste, die ein Flaggschiff im Hafen auftischen konnte: Geflügel, frisches, mageres Schweinefleisch, vielleicht sogar Röstkartoffeln. Der Ort war für Herrick unwesentlich, wenn es um gute heimische Kost ging.
Jetzt merkte er, daß man Bolitho nichts angeboten hatte, und ihn durchdrang das gleiche Gefühl von Beschämung und Mitleid, das er seinerzeit für Okes empfunden hatte. Ein Schimpf, den man Bolitho antat, war eine Beleidigung jeden Mannes an Bord, doch den Kapitän traf es am meisten. Es war so ungerecht, so vorsätzlich grausam, daß Herrick sich nicht beherrschen konnte.
»Aber, Sir, hat der Admiral Ihnen nicht gratuliert?« Er suchte nach Worten, als Bolitho sich zu ihm umwandte. »Nach allem, was Sie für das Schiff getan haben?«
»Schönen Dank für Ihre gute Meinung, Herrick.« Die Maske lockerte sich für einen Augenblick. »Nicht alles ist so, wie es auf den ersten Blick erscheint. Wir müssen geduldig sein.« Es lag weder Bitterkeit noch Herzlichkeit in der Antwort. »Im Krieg bleibt wenig Zeit für eine Verständigung von Mensch zu Mensch.« Er machte kehrt. »Sobald wir unter Segel sind, pfeifen Sie zur Gefechtsübung an den Kanonen.« Er verschwand im Kajütniedergang. Herrick sah sich niedergeschlagen um.
Vibart hatte also recht behalten. Die Phalarope war ein gezeichnetes Schiff und würde es bleiben.
Der Steuermann kam nach achtern. »Boot legt von der Cassius ab, Sir.«
In Herrick keimte Ärger auf. Es war alles so sinnlos, so dumm. »Es wird Botschaften bringen. Lassen Sie eine Wache am Fallreep aufziehen. «
Er war noch immer verärgert, als ein liebenswürdiger Leutnant an Bord kam, seinen Hut lüftete und neugierig über das Deck blickte, als erwarte er eine Art Schauspiel zu sehen.
»Nun?« fragte Herrick unmutig, »haben Sie alles gut in Augenschein genommen?«
Der Offizier lief rot an. »Entschuldigen Sie, Sir. Ich hatte etwas ganz anderes erwartet.« Er reichte Herrick einen dicken Leinwandumschlag. »Befehle für Kapitän Bolitho von Sir Robert Napier, Konteradmiral der britischen Flotte.«
Nach dem kleinen Wortwechsel klang das so förmlich, daß Herrick lächeln mußte. »Danke. Ich werde sie sofort nach achtern bringen.« Er musterte das gebräunte Gesicht. »Wie steht es hier draußen?«
Der Offizier zuckte mit den Schultern. »Ein hoffnungsloses Durcheinander. Zu viel See und zu wenig Schiffe.« Er wurde ernst. »St. Kitts ist belagert, und oben im Norden vereinigen sich die Rebellen. Alles hängt davon ab, wieviel die Franzosen einsetzen können.«
Herrick drehte den dicken Umschlag in den Händen und fragte sich, ob er jemals selbst Befehle öffnen würde, als Kommandant eines eigenen Schiffes.
»Wenn alle Kaperschiffe so gut sind wie das, mit dem wir einen Strauß
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