Bruderkampf
die Falten um seinen Mund. Hugh war nur vier Jahre älter, aber es hätten zehn Jahre zwischen ihnen liegen können. »Nun, jetzt bin ich also dein Gefangener«, sagte er. »Was hast du mit mir vor?«
Hugh Bolitho wich einer direkten Antwort aus. Statt dessen griff er nach dem Degen und hielt ihn gegen die Sonne. »Dir hat er ihn also gegeben.« Er schüttelte den Kopf, eine ebenso vertraute wie schmerzliche Geste. »Armer Vater. Ich fürchte, er denkt das Schlechteste von mir.«
»Überrascht dich das?«
Hugh Bolitho legte den Degen auf den Tisch und schob die Hände tief in die Taschen seines einfachen blauen Rocks. »Ich war auf diese Begegnung nicht aus, Richard. Denke, was du willst, aber du weißt so gut wie ich, daß die Dinge hier draußen zu schnell abrollen, um Gefühle walten zu lassen.« Er sah seinen Bruder an. »Als ich dich auf dem Deck stehen sah, während deine armselige Mannschaft auseinanderfiel, konnte ich es einfach nicht über mich bringen, den Kampf zu Ende zu führen.« Er hob unbestimmt die Hand. »Ganz wie früher, Richard. Es ist mir nie leichtgefallen, dir etwas wegzunehmen, was deiner Meinung nach dir gehörte.«
»Trotzdem hast du es immer getan, nicht wahr?« erwiderte Bolitho gelassen.
»Die Zeiten sind vorbei.« Er deutete auf eine Seekarte. »Wir segeln nach St. Kitts. Bis zum Abend werden wir unter Land sein.« Er bemerkte den Zweifel in Bolithos Augen. »Ich lese in dir wie in einem Buch, Richard. Noch immer das alte Mißtrauen.« Er lachte. »St. Kitts ist von unseren Verbündeten genommen worden. Sir Samuel Hood hat sich zurückgezogen, um seine Wunden zu lecken.« Er schwenkte die Hand über die Karte. »Es wird bald vorbei sein. Ob eure Regierung es nun glaubt oder nicht, Amerika wird eine unabhängige Nation werden, vielleicht eher, als man denkt.«
Bolithos Finger krampften sich hinter seinem Rücken ineinander. Während er hier mit der Vergangenheit konfrontiert wurde, ging seine Welt in Stücke. St. Kitts verloren! Vielleicht sammelten sich die Franzosen schon anderswo zum Angriff.
Aber wo? Sie konnten fast jede karibische Insel wählen.
»Falls du etwas vorhast, um meine Pläne zu stören, dann spar dir die Mühe, Richard. Für dich ist der Krieg aus.« Hugh Bolitho klopfte mit den Fingerspitzen auf die Tischplatte. »Es sei denn...«
»Es sei denn – was?«
Hugh Bolitho kam um den Tisch herum und sah seinen Bruder fest an. »Es sei denn, du stößt zu uns, Richard. Die Franzosen geben etwas auf mich. Ich glaube bestimmt, daß sie dir ein Schiff anvertrauen würden. Nach deinem Wagestück auf Mola können sie dir Mut und Zielstrebigkeit ganz gewiß nicht absprechen.« Er lächelte bei dem Gedanken, der ihm durch den Kopf ging. »Vielleicht sogar die Phalarope.«
Er beobachtete seinen Bruder, der keine Miene verzog, und ging dann zum Fenster. »Diese Gewässer gehören jetzt uns.
Unsere Nachrichten stammen aus vielen Quellen, von Fischern, Handelsbooten, sogar Sklavenschiffen. Da St. Kitts gefallen ist, werden sich eure Schiffe nach Süden auf Antigua zurückziehen, ja noch weiter. Hier gibt es nicht mehr viele Patrouillenschiffe.
Zu kostspielig für euren Admiral, nicht wahr?« Er lächelte.
»Vielleicht nur noch ein Schiff: ein einziges.«
Bolitho dachte an die Phalarope und versuchte sich vorzustellen, was Vibart tun würde.
»Dein Schiff, Richard, die Phalarope. Wir brauchen jede Fregatte, die wir bekommen können, wie die Seestreitkräfte aller anderen Länder auch. Ich habe dafür gesorgt, daß dein Admiral, dieser bombastische Narr Sir Robert Napier, über unsere Bewegungen informiert wurde. Dein Erfolg auf Mola ist ihm bestimmt so zu Kopf gestiegen, daß er der Phalarope Order geben wird, uns aufzuspüren. Der Admiral wird bestimmt alles daransetzen, den Verlust der Andiron zu rächen, nicht wahr?«
»Du mußt verrückt sein.« Bolitho sah seinen Bruder kalt an.
»Verrückt? Kaum, Richard. Ich habe deine Leute verhört. Sie haben mir berichtet, wie ihr Schiff von Admiral Napier bestraft wurde, weil es die Andiron entkommen ließ. Sie haben auch von der Unruhe gesprochen, die an Bord ausbrach, ehe du das Kommando übernommen hast.« Er hob die Arme. »Ich fürchte, die Mehrzahl deiner Männer wird ihr Schicksal mir anvertrauen.
Aber trauere deswegen nicht, es wäre nur klug von ihnen. Hier draußen entsteht eine neue Welt, und sie werden ein Teil von ihr sein. Sobald der Krieg vorüber ist, segle ich nach England und fordere mein Erbe, Richard.
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