Bruderkampf
aufragten. Bolitho grübelte wieder und wieder über ihre einzige Unterhaltung in der Heckkajüte nach, bis er Bedeutungen hineinlegte, die gar nicht vorhanden gewesen waren. Doch eins stand fest: Hugh Bolitho bluffte nicht. Das hatte er nicht nötig.
Die Andiron ankerte vor der Südspitze der kleinen Insel Nevis, die zur Hauptinsel St. Kitts gehörte. Ein ovales Eiland, durch eine Meerenge von etwa zwei Meilen von St. Kitts getrennt und volle fünfzehn Meilen von der Hauptstadt Basseterre entfernt, die Hood erfolgreich gehalten hatte, bis er sich nach Antigua zurückziehen mußte. Nevis war eine gute Wahl, mußte Bolitho grimmig zugeben. Während seiner endlosen Spaziergänge über Deck verfolgte er die schnellen, doch sorgfältigen Vorbereitungen, mit denen hier einem Schiff, das versuchen sollte, die Andiron anzugreifen, eine Falle gestellt wurde.
Die vorspringende Landzunge Dogwood Point beherrschte den geschützten Strich Wasser; dahinter ragte der nackte Kamm des Saddle Hill wie ein Miniaturvulkan auf. Selbst ein halbblinder Ausguck konnte von dort aus jede verdächtige Annäherung ausmachen und sie dem Schiff und der Küstenwache melden. Es war so einfach, daß Bolitho zugeben mußte, er hätte die gleiche Methode gewählt. Lag es daran, weil sein eigener Bruder den Plan entworfen und ein verwandter Geist die Falle gestellt hatte? Wenn Sir Robert Napier erst die Nachricht erhalten hatte, wo die Andiron lag, war die Annahme, daß er impulsiv reagieren würde, durchaus berechtigt. Ein Erfolg würde zwar den schmerzlichen Verlust St. Kitts nicht wettmachen, aber die Moral der britischen Flotte heben.
Natürlich brauchte das angreifende Schiff nicht die Phalarope zu sein. Doch Bolitho verwarf diesen Gedanken sogleich. Sein Bruder hatte auch darin recht. Admiral Napier standen nur wenige Schiffe zur Verfügung, seit sich Hood wieder auf Antigua eingerichtet hatte. Außerdem würde er den Erfolg der Phalarope als einen Akt ausgleichender Gerechtigkeit ansehen.
Damit wäre ihr Name gereinigt und sein Sohn gerächt.
Er versuchte von neuem, sich in die Lage des angreifenden Kapitäns zu versetzen. Er würde langsam heransegeln, um sich zu vergewissern, daß die Information über die Anwesenheit der Andiron stimmte. Und er würde darauf achten, daß die Posten an Land seine Masten nicht vor Sonnenuntergang erspähten. Im Schutz der Dunkelheit würde er unter Land gehen und ein Enterkommando aussenden, vielleicht drei oder vier Boote.
Leicht würde es nicht sein, aber ein Schiff, das so töricht war, ein Stück vor der Basis zu ankern, sollte durch Handstreich zu Fall zu bringen sein. Er schloß die Augen und versuchte, das Bild auszulöschen, das ihm das angreifende Schiff im Augenblick der Erkenntnis der wirklichen Lage zeigte.
Eine verborgene Batterie war so aufgestellt und ausgerichtet, daß die Geschütze den gesamten Bereich unter dem Vorgebirge bestrichen. Und obwohl es nach außen hin so aussah, als läge die Andiron unbesorgt vor einer friedlichen Insel, hatte Bolitho alle Vorbereitungen wohl bemerkt und auch die Sorgfalt, die sein Bruder walten ließ, um den Sieg sicherzustellen.
Die Kanonen, mit Kartätschen geladen, warteten geduckt hinter ihren geschlossenen Pforten. Schon jetzt spannten sich Netze über die Decks, um jene an einem schnellen Entern zu hindern, die dem ersten Kugelregen entkommen würden. Die Männer der Andiron schliefen auf Stationen, jeder einzelne bis an die Zähne bewaffnet und bereit, dem Plan des Kapitäns zum Erfolg zu verhelfen.
Auf dem Achterdeck waren Leuchtraketen angebracht.
Sobald man mit den Angreifern im Kampf stand, sollten sie abgebrannt werden. Das Signal würde von einem entfernteren Posten an eine französische Fregatte weitergegeben werden, und mit deren Eingreifen wäre dann das Gefecht vorüber. Wenn die Phalarope ohne den besten Teil ihrer Mannschaft überrascht wurde, hatte sie keine Chance. Und wenn sie näher unter Land kam, um das Enterkommando zu unterstützen, würden die Landbatterien sie zerschmettern, ehe sie den Fehler bemerkte.
Ein anderer Gedanke quälte Bolitho. Wenn die Phalarope der Angreifer war, würde Vibart das Kommando führen. Er konnte sich nur schwer vorstellen, daß Vibarts Verstand schnell genug arbeitete, um mit einer solchen Situation fertigzuwerden.
Bolitho knirschte mit den Zähnen und ging langsam zur Landseite hinüber. Die Insel lag friedlich da. Die Verteidiger hatten ihre Vorbereitungen abgeschlossen und warteten jetzt
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